Versicherungswirtschaft: Neue Impulse durch Geschäftsmodellinnovationen

6. April 2023 | Aktuell Allgemein Interviews
Versicherungswirtschaft: Welche neue Impulse durch Geschäftsmodellinnovationen entstehen, beantwortetProf. Dr. Alexander Braun, Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen.
Versicherungswirtschaft: Welche neue Impulse durch Geschäftsmodellinnovationen entstehen, beantwortet Prof. Dr. Alexander Braun, Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen.

Mitte Februar 2023 fand der erste Future.Talk des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit insureNXT statt. Der hybride Event wandte sich an die Business-Transformation in der Versicherungswirtschaft und dort dem Thema: «Neue Impulse durch Geschäftsmodellinnovationen». Neben anderen hochkarätigen Gästen war auch Dr. h.c. Carsten Maschmeyer (Maschmeyer Group) zur Keynote: «Geschäftsmodellinnovation aus Investorenperspektive» eingeladen.

thebroker.ch spricht mit Prof. Dr. Alexander Braun, Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen.

Herr Professor Braun, nennen Sie uns doch ein paar Geschäftsmodellinnovationen, die am Future.Talk zur Sprache kamen.

Ein Beispiel ist die Kooperation der Helvetia mit dem italienischen Start-up «MyPass», welches ein effizientes digitales Buchungs- und Zahlungssystem für Skigebiete entwickelt hat. Zusätzlich zum Ticket, können die Kunden in der App eine On-Demand Unfallversicherung von der Helvetia abschliessen.           

Ein weiteres Beispiel ist UTPO, eine Tochtergesellschaft der AXA, die das Flottenmanagement für KMUs übernimmt. Von der Instandhaltung bis zur Rechnungsbegleichung laufen alle Dienstleistungen über eine innovative IT-Plattform, die neben einer transparenten und kundenfreundlichen Handhabung auch den Abschluss von AXA-Flottenversicherungen ermöglicht.

Schliesslich hat die Baloise ein innovatives Startup-Ökosystem vorgestellt. Im ersten Schritt wurde von der Baloise ein Portfolio von Start-ups für Mobilitätslösungen zusammengestellt. Im zweiten Schritt werden nun Synergien zwischen den Start-ups identifiziert, um ein Dienstleistungsökosystem zu entwickeln. Im letzten Schritt sollen die Erfolgsmodelle dann skaliert und das Ökosystem erweitert werden.

Wie reagiert die Versicherungswirtschaft auf den momentan stattfindenden Transformationsprozess?

Um auf die Herausforderungen der digitalen Transformation angemessen reagieren zu können, sind Innovationsdenken und Investitionen notwendig. Die Versicherer haben in den vergangenen Jahren viele wichtige und auch interessante Innovationsprojekte gestartet. Man kann diese grob einteilen in Projekte, die das Kerngeschäft und die zugehörige Wertschöpfungskette digitalisieren bzw. den Automatisierungsgrad steigern sollen sowie Projekte, die neue Geschäftsmodelle erproben. In Bezug auf diese Innovationsprojekte stehen Versicherer nun vor dem Dilemma, Dividenden, ähnlich wie beispielsweise Tech-Unternehmen künftig stärker für Innovationsprojekte einzusetzen, ohne dabei ihre Attraktivität für den Kapitalmarkt zu verlieren.

Sie selbst sprachen über die «Business Model Innovation». Welche Innovationen meinten Sie insbesondere?

Konzeptionell betrachtet lässt sich jedes Geschäftsmodell über vier Dimensionen beschreiben: Die Zielkunden, das Leistungsversprechen, die Wertschöpfung und die Ertragslogik. Wenn mindestens zwei dieser Dimensionen durch einen Transformationsprozess verändert werden, spricht man von einer Geschäftsmodellinnovation. Diese ist wichtig, da jedes Geschäftsmodell gemäss der Theorie des «Innovator’s Dilemma» von Clayton Christensen irgendwann nicht mehr trägt. Der Lebenszyklus eines Geschäftsmodells wird von Christensen mit einer S-Kurve beschrieben. Mit der Zeit kommt jedes Geschäftsmodell auf ein Seitwärtsplateau. Dann ist der Absprung auf eine neue S-Kurve notwendig.

Überall wird digitalisiert, neue Technologien werden eingesetzt. In diesem Zusammenhang seien Smile und Helvetia, die sich als erste ins Metaverse wagten, genannt. Sehen Sie darin die Zukunft?

Das Metaverse ist ein spannendes Zukunftsthema. Allerdings befindet es sich noch in einem sehr frühen, teilweise sogar experimentellen Stadium. Bis das Metaverse für die Mainstream-Kundschaft der Versicherer relevant ist, wird es noch einige Jahre dauern. Insofern sind die Projekte von Smile und Helvetia sehr interessant, aber aktuell noch nicht richtungsweisend.

Wo sehen Sie Anwendungen von ChatGPT im Versicherungsmarkt?

Im Versicherungsmarkt gibt es vielfältige Anwendungsmöglichkeiten für ChatGPT, die dazu beitragen können, den Kundenservice zu verbessern, Prozesse zu optimieren und Innovationen voranzutreiben. Im Kundenservice kann ChatGPT z.B. als virtueller Assistent fungieren, der Anfragen zu verfügbaren Policen, Deckungsumfang, Prämienzahlungen und Schadensmeldungen beantwortet. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, ChatGPT in der Schadensabwicklung zur automatisierten Erfassung und Verarbeitung von Schadensmeldungen einzusetzen. Schliesslich ist der Chatbot in der Lage, im Vertrieb personalisierte Produkt- bzw. Deckungsempfehlungen zu generieren, welche Anforderungen und Präferenzen der Kunden berücksichtigen.

Welche Innovationen aus der Investorenperspektive nannte Carsten Maschmeyer?

Carsten Maschmeyer nannte eine ganze Reihe von relevanten Innovationen für die Assekuranz. Er sah es in seinen Ausführungen beispielsweise als zwingend an, dass die Branche eine standardisierte digitale Infrastruktur aufbaut, die es Versicherungsunternehmen ermöglicht, sich problemlos mit Technologieunternehmen und anderen Partnern zu integrieren. Darüber hinaus hob er den Bereich der Schadenregulierung hervor. Dieser kann und muss schneller und kostengünstiger werden und gleichzeitig ein besseres Kundenerlebnis bieten. Auch die Wichtigkeit des Online-Abschlusses betonte er. Hier sieht er ein sehr grosses Potential in der sogenannten «Embedded Insurance», also Versicherungen, die auf natürliche Weise in den Verkaufsprozess von Primärprodukten, wie beispielsweise Autos, eingebettet sind. Für den Kunden der Verkaufsplattform bzw. des Produktlieferanten entsteht dadurch ein einfacher, schneller und transparenter Zugang zur Versicherungsdeckung.

Die zur AXA Mobility Services AG gehörende UPTO hat ein Abo-Modell für Neuwagen und junge Gebrauchtwagen entwickelt, welche als flexible und schnelle Alternative zum Leasing oder Kauf gelten soll. Somit wird Mobilität aus einer Hand geboten. Was halten Sie von diesem Angebot?

Auto-Abonnementmodelle wie dasjenige von UPTO haben in den letzten Jahren an Beliebtheit gewonnen und bieten Kundinnen und Kunden eine Alternative zum traditionellen Autokauf oder dem Leasing. Bei einem Auto-Abonnement zahlt man eine monatliche Gebühr, die in der Regel Finanzierung, Versicherung, Wartung, Pannenhilfe und manchmal sogar Treibstoffkosten abdeckt. Oft kann sogar der Fahrzeugtyp unter Einhaltung einer Frist getauscht werden. Solche Modelle halte ich für vielversprechend, weil sie den Kundinnen und Kunden Komfort, Flexibilität und Planbarkeit bieten. Nach der Mindestlaufzeit ist das Abonnement regelmässig kündbar und man muss sich keine Sorgen um die Organisation von Wartungen oder irgendwelche zusätzlichen Kosten machen.

Im Ökosystem «Mobilität» der Baloise befindet sich eine Mischung aus 14 Unternehmen, die der Versicherer entweder selbst aufgebaut hat, oder Startups, in die investiert wurde. Handelt es sich um ein erfolgversprechendes Modell?

Das Startup-Ökosystem der Baloise ist definitiv ein spannender Ansatz. Hier soll im Verbund ein umfassendes Leistungsangebot für Kundinnen und Kunden im Bereich der Mobilität entstehen. Die Schwerpunkte der verschiedenen Startups ergänzen sich und können miteinander verzahnt werden. Ob daraus am Ende ein Erfolg wird, entscheidet vermutlich auch die Geschwindigkeit, mit der das Ökosystem etabliert werden kann. In der Vergangenheit hat sich im Hinblick auf solche Modelle gezeigt, dass es kaum Platz für mehrere Anbieter nebeneinander gibt. Man spricht auch vom «Winner-Takes-It-All-Problem». Insofern müssen solche Ansätze mit ausreichendem Nachdruck verfolgt werden, da ansonsten möglicherweise ein anderer Mobilitätsanbieter schneller ist und den Platz beim Kunden dauerhaft besetzt.  

Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie wird diese kurz- und langfristig aussehen?

Hier halte ich es mit einem bekannten Spruch der von manchen Winston Churchill zugesprochen wird: «Prognosen sind schwierig, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.» Trotzdem zeichnen sich ein paar Entwicklungen ab, die vermutlich dauerhaft sein werden. Kurzfristig werden die Versicherer immer stärker ihre bestehende Wertschöpfung digitalisieren und automatisieren, um so bessere Kundenerlebnisse zu günstigeren Kosten anbieten zu können. Wer hier zu langsam unterwegs ist, wird wahrscheinlich Marktanteile einbüssen. Langfristig hingegen müssen Positionierungen und Rollen neu gedacht werden. Entweder man versucht sich an innovativen Geschäftsmodellen zum Erhalt einer eigenen Kundenschnittstelle, inklusive zugehöriger proprietärer Daten, oder man stellt sich darauf ein, als spezialisierter Zulieferer über Embedded Insurance oder in einem breiten Ökosystem hauptsächlich die Risikotragung zu übernehmen.

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