Stand der Digitalisierung bei Versicherern und Brokern in der Schweiz

13. August 2021 | Aktuell
Papierloses Büro

Digitale Lösungen wie Apps existieren in jeder Lebenslage, für kontaktloses Bestellen, Liefern, Bezahlen, Kommunizieren, Bilden, Spielen, usw. Die Liste ist sehr lang. Bereits kleinste Firmen und Geschäfte verfügen über eine perfekte Applikation. Sieht man sich jedoch bei Broker*innen und Versicherern um, zeigt sich, dass oft erst die Versicherer den Nutzen von Apps erkannt haben.

Eine Studie der Beratungsfirma Ernst & Young aus dem Jahr 2016 prognostiziert, dass bis 2030 fast die Hälfte, nämlich 45 Prozent der Versicherungen, aus dem Schweizer Markt verschwinden werden. Deshalb steigt der Druck auf die Anbieter*innen noch kundenfreundlicher und innovativer zu sein. Während die meisten Branchen bereits umgestellt haben, hinken vor allem viele Broker, aber auch Versicherer, noch immer der Digitalisierung hinterher. Ein Fehler von existenzieller Bedeutung.

Ein Blick zurück in noch gar nicht so ferne Zeiten zeigt, dass erst das iPhone von Apple im Jahre 2007 und später die Android-Mobil- und Smartphones die Entwicklung und professionelle Installation von Apps ermöglichten. Die beliebteste Gratis-iPhone-App 2020 war die von SwissCovid (Herausgeberin ist das Bundesamt für Gesundheit BAG), gefolgt von TikTokWatsAppZOOM Cloud MeetingsMicrosoft TeamsInstagramYouTubeGoogle MapsSpotify und Widgetsmith. Die SwissCovid App wurde bisher 2,81 Millionen Mal heruntergeladen.

Circa 40 Prozent aller Web-Aufrufe in der Schweiz erfolgten im vergangenen Jahr über mobile Endgeräte, hauptsächlich Smartphones. Android-Geräte nahmen dabei einen Marktanteil von 51,2 Prozent ein, Apple-Geräte 46,7 Prozent und der Bedarf sowie das Potenzial für mobile Apps ist weiter am Steigen.

ONE und wefox: Mit Algorithmen und Chatbots

ONE war im Februar 2018 Europas erster digitaler Versicherer. Nutzer in Deutschland konnten per Smartphone in wenigen Minuten Hausrats- und Haftpflichtversicherungen abschliessen. Hinter dem Startup steht das Insurtech-Unternehmen wefox. Sie warben damit, dass sie bereits nach 60 Sekunden den Schadenfall abschliessen und das Geld auf das Konto des Kunden überweisen würden. Dabei verfolgen sie, unter anderem mit Algorithmen und Chatbots, den gleichen Ansatz wie die Zurich Gruppe, wo bei der Schadensbearbeitung in Tests bereits seit 2017 der Einsatz von Software-Robotern die Bearbeitungszeit von einer Stunde auf fünf Sekunden reduziert wurde. Allein in der Testphase konnte der Versicherer so 40’000 Arbeitsstunden einsparen.

Krankenversicherer machen es vor

Gemäss Online-Vergleichsdienst moneyland.ch aus dem Jahr 2019, welches die Kundenportale und Apps von 16 Krankenkassen mit mindestens 40 000 Kund*innen untersuchte, führte das Kundenportal von Sanitas, gefolgt von CSS, Atupri, Sanagate, EGK, Aquilana, Assura, Concordia und KPT. In punkto Funktionsumfang schnitten die Apps von mySanagate vor myCSS, Sanitas, Visana und Atupri am besten ab. 

Auch die Helsana als eine der grössten Schweizer Krankenkassen bietet gleich fünf Apps (Helsana+, Helsana Coach, Helsana Trails, myHelsana und Helsana Scan) an, mit der die Versicherten ihre Krankenkassen-Angelegenheiten verwalten können. Dass die Aufteilung auf fünf Apps umständlich ist, hat nun auch Helsana bemerkt. Ab Ende August wird die Helsana Scan-App angeschaltet und in myHelsana übertragen. Allerdings gibt es immer noch grössere Kassen wie Agrisano ohne Mobile-App. Punkto Funktionsumfang schneiden die Apps von Sanagate CSS Sanitas, Visana und Atupri am besten ab.

Auf den Kundenportalen und in den Apps der meisten Schweizer Krankenkassen können die Kunden Prämienrechnungen, Leistungsabrechnungen und Policen abrufen oder Arztrechnungen hochladen. Diese dürfen elektronisch an den Versicherer zur Rückerstattung eingereicht werden. Bei Assura und Concordia müssen Kunden die Rechnungen immer noch postalisch zustellen. Die digitale Versichertenkarte wird in den Apps von Atupri, CSS, EGK, Groupe Mutuel, Helsana Sanagate, Sanitas, Sympany und Visana angezeigt. Dagegen zeigen die KPT, Swica und ÖKK keine Versichertenkarte in ihrer Verwaltungsapp an. 

Broker hinken hinterher

Bei sehr vielen Brokerwebsites sucht man noch vergeblich nach digitalen Lösungen. Seit der digitale Versicherungsmakler Knip sein Brokergeschäft in der Schweiz Ende 2019 eingestellt hat, gibt es tatsächlich keine Schweizer Broker mit einer nativen App mehr. Bei Knip erhielten die Kunden in der App einen digitalen Versicherungsordner und erteilten dem Broker oder der Brokerin gleichzeitig ein Maklermandat. Die App wurde angeblich von 800’000 Usern genutzt.

esurance: Vom Broker zur digitalen Vertriebsplattform

Neuere, innovative Unternehmen, wie zum Beispiel esurance haben nun die digitale Nase vorn. thebroker hat bereits vor einem Jahr über die seit 2017 existierende Plattform mit Brokerlizenz berichtet. esurance verfügt über keine auf das Smartphone oder Tablet ladbare App, sondern über eine Webapp. Bei dieser Webapp handelt es sich um eine hybride Vertriebsplattform, die esurance zusammen mit den jeweiligen Branchenverbänden (GastroSuisse, resp. SwissICT) entwickelt hat. Der Link gastroversicherungen.ch führt Interessierte auf die Vertriebsplattform für Gastronomiebetriebe, wo das jeweilige Produkt online berechnet, abgeschlossen und im digitalen Versicherungscockpit hinterlegt werden kann. IT-Firmen erhalten über esurance.ch/it/ Informationen.

Alles lässt sich hier digital über die Online-Plattform erledigen, von der Offerte bis zu Vertrag und Unterschrift. esurance nutzte sein Know-how aus dem Brokerage-Geschäft für den Aufbau der Vertriebsplattform. Zudem bietet sie die Plattformtechnologie auch als White-Label-Lösung für Versicherungen oder Broker an, wie beispielsweise bei SWICA Integra.

Kundenportal ASSEPRO.online

Auch die ASSEPRO verfügt über keine spezielle App, aber über eine innovative Website. Dabei handelt es sich um ein «mobile friendly» Kundenportal mit diversen Diensten für Kund*innen und potenzielle Kund*innen. ASSEPRO.online, vormals swissbroke.online, ist seit 2015 online, die Absenzmeldeapp für Mitarbeitende seit Mitte September 2020. Bei Letzteren können Mitarbeiter*innen ihre Absenzdmeldungen vornehmen und Dokumente dazu an das entsprechende HR zustellen. 

Im Kundenportal können zudem sämtliche Schäden gemeldet werden, auch Dokumente wie Zeugnisse oder Fotos. Ferner ist eine elektronische Datenablage möglich, der Zugriff auf Policen bleibt jederzeit im PDF-Format gewährleistet. Vorhanden ist auch ein Absenz-Management mit Auswertungsmöglichkeiten. Es existiert ein SIBE-Desk für die Sicherheitsbeauftragten sowie ein Leitfaden und Arbeitsdokumente für das betriebliche Gesundheitsmanagement. Ferner ist es möglich die Offerte bis zum Vertragsabschluss digital zu erstellen. Schliesslich können Bau-, Verkehrsrechtsschutz- sowie Betriebsrechtsschutz Offerten online erstellt sowie policiert werden.

Vorsorgeplattform «Liberty»

Die Vorsorgeplattform «Liberty» ist führend in der Digitalisierung des Vorsorgemarktes. Mit den Portalen Liberty Connect  für Kunden und Partner, SmartGate als digitale Schnittstelle für die papierlose Zusammenarbeit und Compare Invest als Vergleichsplattform für Anlagelösungen. Lesen Sie hierzu auch das Interview mit Oliver Bienek, dem CEO von «Liberty».

neotralo AG

Auf dem Schweizer Online-Vergleichsdienst neotralo lassen sich schnell und einfach Krankenkassen, Versicherungen sowie Banken und Kredite vergleichen und Offertanfragen an die entsprechenden Anbieter stellen. Offerten können hier kostenlos und anonym eingeholt werden. Anders als andere Vergleichsplattformen ist neotralo, wie der Name schon sagt, neutral, unabhängig und frei von Werbung oder sonstigen bezahlten Inhalten. Die Firma arbeitet auf Kommissionsbasis. Seit der Firmengründung 2019 streben die Gründer 10 Millionen jährliche Nutzer bis 2025. 

Noch ist Comparis das führende Vergleichsportal, es ist aber auch das einzige, das neben den Versicherungs- und Finanzplattformen neotralo, Moneyland, Bonus oder Financescout24 bisher einen massiven Hackerangriff erlebte. Es existieren zwei neotralo-Apps, die eine ist für Broker*innen, die andere für Kund*innen.

Tal der Tränen?

Bei der Entscheidung hin zur Digitalisierung ist zunächst noch immer auf den Unterschied zwischen App und Homepage zu unterscheiden. Doch die Verbindung beider Applikationen sind kurz und günstig. Sämtliche dazu benötigten Grundinformationen liegen dem Versicherer bereits vor.  

Die Konzentration auf Apps bringt vor allem verkaufsfördernde Vorteile. Bei der professionellen Homepage richtet sich der Schwerpunkt noch viel zu oft vornehmlich auf die Branchenvertreter. Doch das eine schliesst das andere keineswegs aus. Im Gegenteil: Profiteure der preiswerten Kombination sind für einmal alle Beteiligten: Versicherer, Broker und Kunden. 

Branchenexponenten mit umfassendem digitalem Angebot gelten zurecht bei ihren potentiellen Versicherungsnehmern als fortschrittlich, zukunftsorientiert und flexibel. 

Binci Heeb


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