Senkung der Gesundheitskosten durch Präventionsförderung

30. Juni 2023 | Aktuell Allgemein Interviews
Senkung der Gesundheitskosten durch Förderung der Prävention? Prof. Dr. Lukas Zahner sagt, wie das geht.
Senkung der Gesundheitskosten durch Förderung der Prävention: Prof. Dr. Lukas Zahner sagt, wie das geht.

In den letzten zehn Jahren widmete sich Prof. Dr. Lukas Zahner der Gesundheitsförderung des erwachsenen, primär arbeitstätigen Menschen und dem Personal-Health-Coaching. Bei einer Vielzahl der Arbeitnehmenden, auch aus den Bereichen Versicherung und Versicherungsbroking, die den ganzen Tag am Schreibtisch sitzen, treten früher oder später Beschwerden auf. Das ständige Arbeiten am Bildschirm kann Hand-, Arm-, Nacken- und Rückenleiden verursachen. Langes Sitzen gilt auch als Herzkreislauf-Risikofaktor.

thebroker spricht mit Prof. Dr. Lukas Zahner von der Universität Basel, der über eine langjährige Expertise im Bereich der Bewegungs- und Gesundheitsförderung verfügt.

Herr Professor Zahner, das Schwergewicht Ihrer Arbeit hat sich von den Kindern zu den Senior*innen und später zu den Arbeitstätigen entwickelt. Wie kam es dazu?

Die Arbeit mit Kindern hat mich immer fasziniert, zuerst als Tennislehrer, später auch als Sportwissenschafter und Biologe am Bundesamt für Sport in Magglingen und an der Universität Basel. Mein erstes Forschungsgeld bekam ich für die Kinder- und Jugendsportstudie KISS. Wir untersuchten als grosse Forschungsgruppe die Gesundheit von Schulkindern in der Schweiz und konnten nachweisen, dass durch ein intensives Bewegungsförderungsprogramm mit einer täglichen Sportstunde, Bewegungshausaufgaben, Pausenplatzgestaltung und aktiven Pausen in akademischen Fächern die Kinder ihre Gesundheit und Bewegungsaktivität wesentlich verbessern konnten. Das Förderprogramm wurde von verschiedenen Ländern übernommen und umgesetzt.

Die Forschung mit Senior*innen begann ebenfalls durch Unterstützungsgelder, dabei ging es um die Förderung von Kraft und Gleichgewicht, primär zur Sturzprävention. Es war für mich ebenfalls ein faszinierendes Forschungsthema mit hoher gesellschaftlicher Relevanz. Später untersuchten wir die Profitsituationen von gemeinsamen Trainingseinheiten von Kindern und Senior*innen. Um die erfreulichen Forschungsergebnisse in die Praxis umzusetzen, gründeten wir die Hopp-la-Stiftung, deren Stiftungsratspräsident ich derzeit bin.

In den letzten zehn Jahren begeisterte mich die Gesundheitsförderung des erwachsenen Menschen, primär der Arbeitstätigen. Wie bringen wir Bewegungsmuffel vermehrt zu körperlicher Aktivität? Personal Health Coaching ist unsere Antwort. Auch in diesem Forschungsbereich ergaben sich überraschend positive Ergebnisse und so gründete ich mit Freunden zusammen die SalutaCoach AG, damit möglichst viele Menschen von unserem Forschungs-Know-how profitieren können.

Ihr Anliegen ist die Umsetzung von «Exercise is Medicine», also Bewegung ist Medizin aus der Theorie in die Praxis. Was bedeutet das?

In der Zwischenzeit gibt es tausende Studien, die die positive Wirkung von Bewegung und Sport auf die Gesundheit des Menschen darstellen, in allen Dimensionen, physisch, psychisch, motorisch, sozial etc. Ja, Bewegung ist eine Wunderpille, sie wirkt in vielen Bereichen gleich gut oder besser als Medikamente und erst noch mit positiven Nebenwirkungen. Leider gibt es (zu) wenig Forschende, die die Umsetzung ihrer Forschungsergebnisse in den Alltag des Menschen vorantreiben. Dieser Bereich fasziniert mich, Umsetzungsstudien sind meist komplex und anspruchsvoll, eine wahre Herausforderung.  

Bei der Senkung der steigenden Gesundheitskosten durch Förderung der Prävention, wo genau sehen Sie die Einsparnisse?

Derzeit werden in der Schweiz weniger als drei Prozent der Ausgaben im Gesundheitswesen für präventive Massnahmen und über 97 Prozent für «Reparaturmedizin» ausgegeben. Dieses Verhältnis muss uns wirklich zu denken geben, denn es gibt inzwischen eine Vielzahl von Studien, die die positive Wirkung der Prävention nachweisen. Beispielsweise wissen wir, dass derzeit ca. 2.2 Millionen Menschen in der Schweiz an nicht-übertragbaren Krankheiten (NCDs) wie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes Typ 2, Übergewicht etc. leiden. Die WHO schätzt, dass rund 50 Prozent aller NCDs mit einem gesunden Lebensstil vermieden werden könnten. Alle NCDs zusammen verursachen mehr als 50 Milliarden Franken der Gesundheitskosten, wir hätten infolgedessen ein Sparpotential von circa 25 Milliarden Franken pro Jahr in der Schweiz. Auch im Bereich von Sturzunfällen, primär beim älteren Menschen, haben wir ein Sparpotential in Milliardenhöhe, denn wir wissen, dass bis zu 50 Prozent der Sturzunfälle vermeidbar wären, wenn Senior*innen vermehrt ihre Kraft- und Gleichgewichtsfähigkeit fördern würden. Verrückt dieses Sparpotential! Aus dieser Sicht begreife ich nicht, weshalb der präventiven Gesundheitsförderung nicht mehr Gewicht gegeben wird, wir haben ja ein Bundesamt für Gesundheit, wo ist deren Engagement?

Welche Verhaltensweisen gilt es vor allem anzupassen?

Wir wissen, dass mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung über eine unzureichende Gesundheitskompetenz verfügt. Was heisst das? Über 50 Prozent der Menschen fehlt die Fähigkeit, im täglichen Leben Entscheidungen zu treffen, die sich positiv auf die Gesundheit auswirken, also beispielsweise in den Bereichen Bewegung, Ernährung oder mentaler Gesundheit. Die zentrale Frage ist: Wie kann die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung erhöht werden? Wir wissen, dass es keine einfachen Lösungen gibt, beispielsweise hatten nicht individualisierte Programme wie Plakataktionen oder Fernsehspots etc. bisher keinen Erfolg, zumindest nicht auf die krankheitsbezogenen, klinischen Ergebnisse. Es braucht persönlich angepasste Interventionen, wie wir sie beispielsweise beim Personal-Health-Coaching anwenden. Das übergeordnete Ziel ist eine Verhaltensänderung bei gesundheitsgefährdeten Menschen.

Ist nicht jeder Mensch für seine Gesundheit zuständig und müsste somit Eigenverantwortung übernehmen?

Wir müssen uns die Frage stellen, wer denn Eigenverantwortung übernehmen kann. Können es Kinder oder können es Menschen mit mangelnder Gesundheitskompetenz? Nein, und diese Menschen sollten im Bereich der Verhaltensänderungen unterstützt werden. Es geht um persönliche Lebenssituationen, jeder Mensch lebt unterschiedlich und deshalb muss die Gesundheitsförderung der Zukunft vermehrt individualisiert werden. Es gibt tausende von Informationsquellen, Apps, Fitnesstracker etc., Ratschläge in den Bereichen Bewegung, Ernährung oder mentaler Gesundheit. Zu viele Menschen sind damit überfordert und sollten bei ihrer Entscheidungsfindung unterstützt werden und so sind wir wieder bei einem neuen Berufsstand, den Personal-Health-Coaches, die die Menschen so lange begleiten, bis sie selbst wissen, was sich positiv auf ihre Gesundheit auswirkt.

An der Universität Basel bilden Sie Personal-Health-Coaches (PHC) aus. In welchen Bereichen werden die PHCs ausgebildet?

Im Mittelpunkt des berufsbegleitenden Zertifikatslehrgangs steht das Erlernen von Interventionsstrategien in den Bereichen Bewegung und Sport, Ernährung und mentaler Gesundheit. Absolvent*innen des Studiengangs sollen verschiedene Zielgruppen beim Erreichen lebensstilbezogener Ziele professionell begleiten. Menschen mit nichtübertragbaren Krankheiten wie Übergewicht, Depressionen, Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen, muskuloskelettalen Beschwerden oder Diabetes. Selbstverständlich soll dieses Coaching in Absprache oder auf Empfehlung von Ärzten geschehen. Zu den Fähigkeiten eines Personal-Health-Coaches zählen das Durchführen von Fitness- und Gesundheitsanamnesen, die Kenntnis effektiver Techniken der Verhaltensänderung und das dynamische Anpassen individueller Coachingstrategien. Der Weiterbildungsstudiengang richtet sich an Fachpersonen aus dem Bereich Sport/Bewegung, Physiotherapie, Psychologie oder Personen mit äquivalenten Ausbildungen.

Werden diese PHCs von den Krankenkassen bezahlt?

Bereits unterstützen 16 Krankenversicherer PHC aus der Zusatzversicherung heraus. Aus meiner Sicht eine sehr gute Entscheidung. Wir hoffen, dass zukünftig weitere Krankenversicherer PHC unterstützen und sich damit von der Krankenkasse zur Gesundheitskasse entwickeln.

Arbeiten PHCs in Spitälern und Arztpraxen oder im Bereich des Betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM)?

Ja, in allen Bereichen ist PHC zunehmend ein Thema. Das Berufsfeld ist noch wenig bekannt und so entwickelt sich die Situation nur langsam. Zunehmend entdecken Firmen PHC, es herrscht Fachkräftemangel und es wird stärker präventiv gedacht. Mitarbeitenden in schwierigen Gesundheitssituationen durch PHC eine Hand zu geben, statt abzuwarten bis sie allenfalls «abgestürzt» sind, wird in der Belegschaft sehr hoch gewertet. «Meine Firma hat mich in einer schwierigen Situation unterstützt». Es hat sich auch herumgesprochen, dass gesündere Mitarbeitende leistungsfähiger, weniger krank und unfallgefährdet sind. Der Return on Investment ist im Bereich des BGM in hohem Mass gegeben, leider glauben noch zu wenige Firmenverantwortliche daran. Clevere Firmen gehen den Fachkräftemangel auch mit sinnvollen BGM-Massnahmen an.

Als Journalistin verbringe ich die grösste Zeit hinter dem Bildschirm. Mein Arbeitstag beginnt meist um 7 Uhr, danach gehe ich essen und lege mich etwas hin, bevor ich mit den Hunden für ca. 30 Minuten in den Wald gehe. Anschliessend verbringe ich erneut ein paar Stunden am Laptop. Was kann ich tun, um bei dieser Arbeitsweise so gesund wie möglich zu bleiben?

Sie machen schon vieles richtig, die Bewegung zusammen mit Ihrem Hund ist Balsam für Körper, Geist und Seele und falls Sie ab und zu zügiger mit Ihrem Hund unterwegs sind, haben Sie einen noch stärkeren Profit für Ihre Gesundheit. Da langes Sitzen als Herzkreislauf-Risikofaktor gilt, rate ich Ihnen nach spätestens einer Stunde Bildschirmarbeit eine Bewegungspause einzuschalten. Bestimmt haben Sie Ihren Arbeitsplatz ergonomisch optimal eingerichtet, vielleicht haben Sie einen höhenverstellbaren Schreibtisch, sodass Sie ab und zu stehend am Bildschirm arbeiten können. Ich rate Ihnen, die Empfehlungen der SUVA zu berücksichtigen. Dort finden Sie eine sehr gute Zusammenfassung der wichtigsten Punkte betreffs Einrichtung Ihres Bildschirmarbeitsplatzes.  

Die Fragen hat Binci Heeb gestellt.

Prof. Dr. phil. Lukas Zahner

  • Ausbildung
  • Master Biologie, Master Sportwissenschaft
  • Dissertation und Habilitation im Bereich biologisch-trainingswissenschaftlichen Forschung
  • Health-Fitness-Instructor des American College of Sport Medicine
  • Diplomierter Trainer Spitzensport (Swiss Olympic), Tennislehrer SPTA
  • Tätigkeiten
  • 1987 – 2020 Mitarbeit am Departement für Sport, Bewegung und Gesundheit (DSBG) der Universität Basel, Leitung des Lehr und Forschungsbereichs Bewegungs- und Trainingswissenschaft und Mitglied der Departementsleitung.
  • Ab 2020: Aufbau der SalutaCoach AG, einer Start-up-Firma im Bereich des Personal-Health-Coaching (PHC)
  • Studiengang CAS «Personal Health Coach» an der Universität Basel
  • Stiftungspräsident Hopp-la-Stiftung

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