Gesundheitskosten immer höher: Zu viel ist zu viel

11. November 2022 | Aktuell Allgemein Interviews
Gesundheitskosten immer höher. Felix Schneuwly, Vizepräsident bei Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen und Head of Public Affairs bei comparis.ch.
Gesundheitskosten immer höher. Felix Schneuwly, Vizepräsident bei Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen und Head of Public Affairs bei comparis.ch.

Er ist noch immer unzufrieden, bei Gesundheitsdirektor Alain Berset mahlen die Mühlen langsam. Tardoc soll das heutige Tarifsystem Tarmed ablösen, doch auch den dritten Anlauf einer neuen Tarifstruktur für ambulante Leistungen schickte der Magistrat bachab. Die Tarifpartner sind nun angewiesen, bis Ende des nächsten Jahres, Tardoc weiter zu verbessern.

thebroker.ch unterhält sich mit Felix Schneuwly, Head of Public Affairs bei comparis.ch.

Herr Schneuwly, die Lebensmittel sind teurer geworden und die Strompreise sollen 2023 für Haushalte teilweise ebenfalls stark steigen. Auch die Krankenkassenbeträge werden im Durchschnitt um 6,6 Prozent angehoben: Wie sollen die Gesundheitskosten noch bezahlt werden?

Zuerst muss ich darauf hinweisen, dass dieser Prämienschock vermeidbar gewesen wäre, wenn die Politik die Krankenversicherer nicht gezwungen hätte, die Reserven abzubauen. Genau diese Reserven wären jetzt nötig um den ausserordentlichen Kostenschub wegen Corona abzufedern. Insgesamt ist die Prämienbelastung immer noch unter zehn Prozent des Haushaltsbudgets. Und wer die Krankenkassenprämien nicht bezahlen kann, hat das Recht auf Prämienverbilligungen. Der Bund passt seinen Anteil an die Prämienverbilligungen stets dem gesamten Prämienvolumen an. Viele Kantone – insbesondere in der Deutschschweiz – tun das nicht.

Was sagen Sie dazu, dass der Abschluss des neuen Arzttarifs Tardoc um ein weiteres Jahr verschoben wurde?

Das ist ein Skandal. Das Krankenversicherungsgesetz (KVG) verlangt sachgerechte und wirtschaftliche Tarife. Dass der im Jahr 2004 eingeführte und abgesehen von zwei bundesrätlichen Eingriffen nicht mehr revidierte Tarmed die KVG-Anforderungen nicht mehr erfüllt, ist unbestritten. 

Was muss geschehen, damit der Bundesrat mit dem neuen Arzttarif endlich zufrieden ist?

Der Bundesrat muss endlich entscheiden, ob der Tardoc die KVG-Anforderungen erfüllt oder nicht. Er muss also Ja oder Nein sagen, anstatt immer neue Anforderungen zu stellen, die gar nicht im KVG stehen. Das KVG verlangt weder Kostenneutralität noch eine Mehrheit der Tarifpartner. Wenn der Bundesrat entschieden hat, können die Tarifpartner den Entscheid vor dem Bundesverwaltungsgericht anfechten, wenn sie nicht einverstanden sind. Die Spielregeln sind also klar. Der Bundesrat verpolitisiert dieses Geschäft und das Parlament akzeptiert das.

Weshalb müssen die Krankenkassen die Prämien jeweils vom Bundesamt für Gesundheit BAG absegnen lassen?

Das ist tatsächlich überflüssig, steht aber im Krankenversicherungsaufsichtsgesetz (KVAG). Überflüssig ist es deshalb, weil ein Versicherer mit zu hohen Prämien Kunden verliert und mit zu tiefen Prämien Solvenzprobleme bekommt. Da die Versicherten den Versicherer jedes Jahr wechseln können, sind sie selber schuld, wenn sie zu hohe Prämien bezahlen. Wird ein Versicherer unterjährig vom BAG gezwungen, die Prämien zu erhöhen, verliert er die Kunden, die er eben erst mit zu tiefen Prämien gewonnen hat. Auch die Kompetenz des BAG, Versicherer zu unterjährigen Prämienerhöhungen zu zwingen, wenn diese die Mindestreserven unterschreiten, könnte man aus dem Gesetz streichen, denn es wäre fürs System und auch für die Versicherten kein Problem, wenn ein Versicherer Konkurs ginge. Die Gläubiger bekämen ihr Geld vom Insolvenzfonds und die Versicherten könnten zu einem anderen Versicherer wechseln.

Die Linke will das wettbewerbliche System am liebsten abschaffen. Das kann doch nicht die Lösung sein?

Die Stimmbürger:innen haben schon ein paar Mal über eine Einheitskasse abgestimmt. Der Wettbewerb ist in der Regel besser für die Konsument:innen als ein Monopol, weil sich Anbieter im Wettbewerb mehr um Effizienz und Servicequalität bemühen als Monopolisten. Bevor wir ein weiteres Mal über eine Einheitskasse abstimmen, sollten wir sie in einem grossen Kanton testen und mit dem Kassenwettbewerb im Rest der Schweiz vergleichen.

Denken Sie, dass Bundesrat Berset die Idee einer Einheitskasse wieder forcieren könnte?

Das tut er schon seit zehn Jahren, indem er mit gütiger Mithilfe von Mitte-Rechts im Parlament und sogar einiger Krankenkassen den Handlungsspielraum der Krankenversicherer stetig einschränkt. Die Aufsicht bekommt immer mehr Macht, ohne die unternehmerische Verantwortung für die Krankenversicherer zu übernehmen. Wenn das so weitergeht, haben wir die Einheitskasse faktisch, ohne dass wir darüber abstimmen.

Der Gesundheitsminister steht für mehr staatliche Intervention. Diese Meinung teilen Sie wohl eher nicht.

Nein. Die Regulierungsflut in den letzten zehn Jahren schränkt nicht nur den Handlungsspielraum der Kassen immer mehr ein, auch denjenigen der medizinischen Leistungserbringer. Bundesrat Berset will das Gesundheitswesen via BAG mit immer mehr Paragraphen steuern. Das erhöht bloss die Bürokratiekosten und frustriert das Gesundheitsfachpersonal, dem die Zeit für die Arbeit für die Patient:innen fehlt, weil die Administration immer mehr Arbeitszeit wegfrisst. Die Zulassungssteuerung für Ärzt:innen, die Qualitätsvorlage, die beiden Sparpakete und die indirekten Gegenvorschläge zur 10%-Initiative der SP und zur Kostenbremse-Initiative der Mitte sind die jüngsten Beispiele falscher Regulierung. 

Es gibt etliche Beispiele für schlechte Regulierung im Gesundheitswesen. Gibt es auch gute?

Ja, der in den letzten Jahren in mehreren Schritten verbesserte Risikoausgleich ist ein Beispiel guter Regulierung, die 2012 eingeführte Spitalfinanzierung ebenfalls. Die einheitliche Finanzierung für ambulante und stationäre Leistungen (EFAS) ist ein weiteres Beispiel, müsste aber vom Parlament endlich verabschiedet werden.

Ist dem Bundesrat die Qualität im Gesundheitswesen egal?

Nein, aber die Qualitätsvorlage ist ein Bürokratiemonster, weil sie nicht Qualitätswettbewerb ermöglicht. Qualitätswettbewerb setzt Qualitätstransparenz voraus. Der Kostenröhrenblick in Bundesbern richtet nur Schaden an. Wir müssen aufhören, bloss die Mengen der medizinischen Leistungen zu bezahlen, sondern auch den Behandlungserfolg bei der Vergütung berücksichtigen, damit Effizienz und Qualität einen Wettbewerbsvorteil hat und nicht Billigstmedizin.

FDP-Nationalrat und Mitglied der Gesundheitskommission des Nationalrats Andri Silberschmidt schrieb am 2.11. 2022 in Medinside, dass Fehlanreize und Ineffizienz mit zunehmender Regulierung zunehmen. Das spricht Ihnen wohl aus dem Herz.

Ja, Andri Silberschmidt kommt von aussen, hat einen kritischen Blick auf die bisherige Gesundheitspolitik. Vorschläge für eine Gesundheitspolitik, die Effizienz und Qualität belohnt, liegen auf dem Tisch. Ich traue ihm zu, dass er Mehrheiten von den Vorteilen dieser Vorschläge überzeugen kann.

Gehören die seit 2017 in die Grundversicherung aufgenommenen und nicht wenig umstrittenen homöopathischen Medikamente und Behandlungen wieder gestrichen?

Ja, natürlich, aber einige, nicht mehr zeitgemässe schulmedizinische Methoden auch. Wer Komplementärmedizin will, soll diese selber bezahlen oder eine Zusatzversicherung abschliessen. Ich könnte mir aber auch alternative Versicherungsmodelle (AVM) in der Grundversicherung mit wissenschaftlich umstrittenen Methoden vorstellen. Das hätte den Vorteil, dass nur die Versicherten, die diese Modelle wählen, die Komplementärmedizin auch mitfinanzieren müssten.

Welche Einsparungen würden daraus resultieren?

Wenn die Komplementärmedizin nur noch in speziellen AVM versichert wäre, würden die Versicherer rasch merken, ob damit Geld gespart wird oder ob Komplementärmedizin mehr kostet, weil Patient:innen, die auf Komplementärmedizin setzen, nicht auf Schulmedizin verzichten.

Wo sehen Sie generell Möglichkeiten der Kosteneinsparung, die rasch umgesetzt werden könnten.

In erster Linie mit einem klaren Nein des Parlaments zu Regulierungsvorschlägen, die mehr und nicht weniger kosten werden. In zweiter Linie mit mehr Handlungsspielraum bei den AVM werden die Anreize für Effizienz und Qualität verstärkt. Konkret heisst dass: Mehrjahresverträge freiwillig für Versicherte zu den Einjahresverträgen, mehr Spielraum bei der Prämienkalkulation, beim Leistungskatalog, beim Personaleinsatz und Teamwork und bei der Vergütung der versicherten Leistungen. EFAS hilft auch, AVM attraktiver zu machen, weil jetzt vor allem die Kantone profitieren, wenn mehr ambulant und weniger stationär behandelt wird, weil die Kantone an stationäre Leistungen 55 Prozent bezahlen und an ambulante gar nichts.

Die Fragen hat Binci Heeb gestellt.

Felix Schneuwly, 62, lic. phil I / Executive MBA, studierte nach einer Lehre als Sanitär-Installateur in Courtaman (Kanton Freiburg) und der Matura in Bern an der Uni Freiburg/Fribourg Psychologie, Berufsberatung und Journalistik, arbeitete danach in Bern als Geschäftsführer für die Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen (FSP) sowie für den Schweizerischen Blinden- und Sehbehindertenverband (SBV) mit einer berufsbegleiteten Weiterbildung zum Executive MBA, danach in Solothurn und Bern als Leiter Politik und Kommunikation für den Verband der Schweizer Krankenversicherer santésuisse. Seit 2011 ist er Leiter Public Affairs und Krankenversicherungsexperte beim Internetvergleichsdienst comparis.ch AG in Zürich.

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