Fahrzeugdaten: Der digitale Spion wird zum Beifahrer

21. Februar 2022 | Aktuell
Fahrzeugdaten: Der Spion im Auto
Fahrzeugdaten: Wem gehören sie?

Früher erhoben Fahrzeug-Versicherer zur Risikoeinschätzung vorwiegend Informationen, die auf bestimmten Zustandsdaten, beispielsweise Fahrzeugtyp und PS sowie ereignisbezogene Verhaltensdaten, zum Beispiel Schadenfälle oder Administrativmassnahmen basierten. Heute finden auch ereignisunabhängige, personenspezifische Fahrzeugdaten Eingang in die Berechnung von Tarifen.

Moderne Autos sind nicht mehr nur Autos im herkömmlichen Sinn, sie sind fahrende Hochleistungscomputer mit enormer Rechenkapazität und weit über hundert Sensoren. Diese erfassen und speichern digital Standort, Fahrtrichtung, Standzeiten, Beschleunigung und Geschwindigkeit. Dass Versicherungen durch diese Daten gerne Zugriff auf das Fahrverhalten ihrer Kund*innen hätten, versteht sich von selbst. Aber ein Grossteil der Autofahrer*innen möchte dies lieber vermeiden. Wem also gehören die Daten?

Rabatte gegen persönliche Daten

Von noch freiwilligen schlauen Fahrzeugassistenten wie autoSense mit GPS-Tracker von Amag, Swisscom und Zurich bis zu Drive Recordern werden sämtliche Fahrzeugbewegungen und Reaktionen von Lenker*innen aufgezeichnet und an das Versicherungsunternehmen weitergeleitet. Bei einer Freigabe locken gleich verschiedene Autoversicherer mit Rabatten, beispielsweise Drive Partner von Axa mit 15 Prozent für Jungfahrer*innen. Dank dem Drive Coach von Smile werden Kun*innen wöchentlich finanziell für gutes Fahrverhalten belohnt.

Die Automate Insurance App funktioniert nach dem Prinzip «Zahl wie Du fährst». Jede Fahrt wird mit einer Punktzahl bewertet, indem Ablenkungen, beispielsweise durch das Handy, das Tempo, die Tageszeit sowie der Strassentyp und die Fahrweise bewertet werden – Orwell lässt grüssen. Kasko2go wiederum ist eine App der Firma Normal Sigma, die mit einer KI-basierten Softwarelösung Risiken im Strassenverkehr aufdeckt und eine Risikobewertung bereitstellt. Es werden Informationen über die Umgebung und das Risiko, das sie für den Fahrer darstellen gesammelt. Damit kann, so wird glaubhaft versichert, die Wahrscheinlichkeit und Gefahr vorausberechnet, ob ein*e Fahrer*in früher oder später in einen Unfall verwickelt sein wird. Eine Zuteilung, welche für Versicherungsunternehmen noch viele Fragen aufwerfen dürfte.

Wer hat Zugriff auf die obligatorisch zu ermittelnden Fahrzeugdaten von eCall112?

Seit dem 1. Januar 2021 ist das automatische Notrufsystem eCall Pflicht. Davon betroffen sind Personenwagen, die nach diesem Datum typengenehmigt wurden. Diese von der EU beschlossene und von der Schweiz übernommene Massnahme soll in erster Linie Leben zu retten. Bei einem starken Aufprall, wenn beispielsweise Airbags ausgelöst werden, übermittelt das System automatisch Angaben wie Zeitpunkt des Unfalls, Standort, Fahrzeugantrieb, Anzahl der Insassen (bei geschlossenen Sicherheitsgurten) an die internationale Notrufnummer 112. Zudem wird auch eine Sprachverbindung aufgebaut, damit die Rettungskräfte schneller vor Ort sein können. Eine Nachrüstung bestehender Fahrzeuge ist allerdings weder von der EU noch von der Schweiz vorgesehen oder gar Pflicht.

Gemäss Merkblatt des Bundesamtes für Strassen ASTRA reagiert eCall112 nur dann aktiv, wenn ein Unfall passiert. Sonst könne, so wird betont, das Auto nicht verfolgt werden. Zugriff auf die Daten haben einzig die Notrufzentralen und erst nachdem eCall112 ausgelöst wurde. In der Betriebsanleitung jedes Fahrzeugs muss klar und umfassend festgehalten werden, um welche genauen Daten es sich handelt. Weder Fahrzeughersteller noch Versicherer erhalten Zugriff auf die Daten, ausser die oder der Halter*in erteilt dazu ausdrücklich seine Erlaubnis.

In Kürze obligatorisch: ereignisbezogene Datenaufzeichnung

«Neue Personenwagen und leichte Nutzfahrzeuge wie Lieferwagen müssen ab Juli 2022 mit einer ereignisbezogenen Datenaufzeichnung – oder eben einem Unfalldatenschreiber – ausgerüstet sein», sagt Thomas Rohrbach vom Eidgenössischen Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK und vom Bundesamt für Strassen ASTRA, gegenüber thebroker.ch. Dieses System solle mithelfen, nach einem Verkehrsunfall herauszufinden, ob und wie verschiedene Fahrzeugausrüstungen funktioniert haben. Fragen, ob der Blinker gestellt, das Licht an war oder der Airbag sich ordnungsgemäss geöffnet hat, liessen sich so einfach klären. Dabei ginge es ausdrücklich nur um die Daten zum Unfallgeschehen und zur Wirkung von Assistenzsystemen, und nicht um die Ursachenermittlung im Einzelfall.

Anders als bei Flugdatenschreibern, wie der «Black Box» in Flugzeugen, werden im Auto oder Lieferwagen nicht Daten der gesamten Wegstrecke gespeichert, sondern nur ab fünf Sekunden vor dem Unfallereignis bis zu dessen Ende auslesbar, also beispielsweise bis ein Fahrzeug nach einem Überschlag zum Stillstand kommt auslesbar. Rohrbach meint dazu weiter: «Die Daten verbleiben im Fahrzeug, sie werden nicht übertragen und müssen auch dort lokal ausgelesen werden Ferner stünden sie Dritten – zum Beispiel explizit den Versicherungen – nicht zur Verfügung. Ausschliesslich mit der Unfallabklärung und Unfallanalyse betraute Behörde dürfen diese Daten verwenden.

Wie sieht es mit herstellereigenen Notrufsystemen aus?

Neben eCall112 existieren in modernen Autos auch herstellereigene Notrufsysteme sowie weitere Daten, die im Auto gespeichert und zunächst umgehend dem Hersteller übermittelt werden, beispielsweise fahrdynamische Unfalldaten. Darunter sind GPS-Informationen aus dem Navigationssystem, Aufzeichnungen über Geschwindigkeit, Schliesszustand, Handys, USB-Sticks und dergleichen. Nicht nur Tesla greift inzwischen zugleich auf die hochauflösenden Bilder einer Mehrzahl von im und um das Fahrzeug fest montierten Kameras zurück. Wer Zugriff auf diese Daten hat, findet sich in den Vertragsbestimmungen der Kaufverträge. Es gilt dort das Kleingedruckte sehr genau zu studieren, sonst erweist es sich für Dritte mit einem Mal als nicht mehr unmöglich an die eigentlich gesetzlich geschützten Autodaten heranzukommen.

Bereits ab diesem Jahr sollen die Fahrzeughersteller in der Schweiz verpflichtet werden, konkrete Informationen nach einem Unfallgeschehen elektronisch zu speichern. Ob auch die Behörden darauf Zugriff haben werden, ist noch unklar. Ebenfalls unklar bleibt vorläufig, in wiefern auch die Polizei in Zukunft Zugriff in Zukunft auf sämtliche, auch persönliche Daten nehmen darf.

Gefahren aus Datenschutzsicht bei risikogerechten Versicherungsprämien

Der Eidgenössische Datenschutz und Öffentlichkeitsbeauftragte EDÖB sieht Probleme bei der Entwicklung von individualisierten Versicherungen mit risikogerechten Prämien. Vor einigen Jahren erhoben die Versicherer zur Risikoeinschätzung vorwiegend Informationen, die auf bestimmten Zustandsdaten sowie ereignisbezogene Verhaltenes wie Schadenfälle oder Administrativmassnahmen der Halter*innen basierten. Heute finden zunehmend auch ereignisunabhängige, personenspezifische Daten Eingang in die Auswertung. Das scheint grenzwertig.

Dabei reichen die technischen Lösungen der Erhebung gewünschter Informationen von einer einfachen Erfassung der gefahrenen Kilometer mittels Tankkarte bis hin zu einem digitalen, vollautomatischen und kommunikationsfähigen Datenaufzeichnungsgerät, welches sämtliche Fahrzeugbewegungen und Reaktionen der lenkenden Person aufzeichnet und an das Versicherungsunternehmen weiterleitet. Es werden vermehrt auch Geräte eingesetzt, die sämtliches Fahrverhalten aufzeichnen und mit einem Bewegungssensor sowie einem Unfalldatenspeicher ausgestattet sind. Zielpublikum sind Junglenker*innen, die bei umsichtigem Fahren einen Prämienrabatt gewährt erhalten.

Um von den Preisvorteilen zu profitieren zu können, werden von Versicherern eine «Pay as you drive» PAYD-Police angeboten. Dabei gilt es zu beachten, zu welchem Zweck die ereignisunabhängigen personenbezogenen Nutzungsdaten verwendet werden. Damit mögliche Informationen nicht auf Vorrat gesammelt werden, ist eine deutliche Selektion der unbedingt notwendigen Daten verbindlich auszuhandeln.

Binci Heeb

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