Erdbeben 1356: Was wäre, wenn?

10. März 2023 | Aktuell Allgemein
Erdbeben Risikokarte

Erdbeben gehören neben Pandemien und Strommangellagen zu den grössten Risiken der Schweiz. Nach den zerstörerischen Erdbeben vor über einem Monat im Südosten der Türkei und Nordsyrien mit Magnituden von 7.8 und 7.5 verloren nach bisherigen Schätzungen mindestens 45‘000 Menschen ihr Leben. Welche Auswirkungen vergleichbare Erschütterungen in der Schweiz haben könnten, wurde vor wenigen Tagen vom Schweizerischen Erdbebendienst (SED) in zwei errechneten Szenarien demonstriert.

Seit dem 1. Januar 2023 gab es in der Schweiz 181 leichte Erdbeben. Denkt man an grosse Erdbeben in der Schweiz, erinnert man sich an das Erdbeben in Basel im Jahr 1356 mit einer Stärke von 6.6. Dabei stürzten viele Häuser sowie der Chor des Basler Münsters ein. In der Folge geriet die Stadt in Brand und das Münsterdach stürzte ins Kirchenschiff. Anders als in der Türkei und Syrien war die Anzahl der Toten aufgrund der sehr viel geringeren Bevölkerungsdichte in Basel begrenzt und belief sich auf eine ungenaue Zahl von 100 bis 2000 Toten. Mit einem ähnlich starken Erdbeben in der Region Basel wie 1356 ist alle 2‘000 bis 2‘500 Jahre zu rechnen.

Hingegen ist in der Schweiz eher nicht mit einer ähnlich hohen Magnitude wie im Gebiet der Türkei bzw. Syrien zu rechnen. Auf der Magnitudenskala wäre ein solches Erdbebeneben rund 63-mal stärker als das Erdbeben von Basel mit einer Stärke von 6.6.

Schadenorganisation Erdbeben (SOE) als Koordinator

Die Mitte 2021 gegründete Schadenorganisation Erdbeben (SOE) soll Erdbeben so schnell wie möglich bewältigen. Das Projekt wird durch die Kantone, die kantonalen Gebäudeversicherungen und die Privatversicherungen finanziert. Unterstützung erfährt die SOE auch durch die Fachstelle des Bundes wie der schweizerische Erdbebendienst an der ETH Zürich, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) sowie das Bundesamt für Umwelt (BAFU).

Die SOE soll ihren operativen Betrieb gegen Ende 2023 aufnehmen. Im Ernstfall werden Fachleute, bestehend aus Ingenieuren, Architekten und Versicherungsfachleuten der SOE, die in Mitleidenschaft geratenen Gebäude besichtigen und eine Schadenschätzung für Reparatur und Wiederaufbau erstellen. Für die Erfassung der Daten wird die nötige IT-Infrastruktur nach einheitlichen Kriterien aufgebaut.

Erdbebenversicherung bald obligatorisch?

Die Erdbebenversicherung für Hauseigentümer ist nicht obligatorisch. Sie könnte jedoch obligatorisch werden. Der Bundesrat hat sich gegen Ende 2022 mit der finanziellen Vorsorge im Falle eines Erdbebens befasst. Dazu beauftragte er das Eidgenössische Finanzdepartement (EFD) bis Ende 2023 eine Vernehmlassungsvorlage für eine Verfassungsänderung zu erarbeiten. Die Vorlage sieht vor, dass bei einem schweren Erdbeben alle Hauseigentümer*innen in der Schweiz einen Beitrag zum Wiederaufbau leisten müssen.

Dabei wird von folgenden Eckwerten ausgegangen: Bei einem schweren Beben sollen alle Hauseigentümer*innen einen Beitrag von maximal 0,7 Prozent der Gebäudeversicherungssumme zur Schadensdeckung leisten. Damit würden gegenwärtig Gebäudeschäden von bis zu rund 20 Milliarden Franken abgedeckt. Die Eventualverpflichtung würde für alle Gebäude in der Schweiz mit einer Versicherungssumme bis 25 Millionen Franken gelten. Davon ausgeschlossen sind alle Bundesbauten.

Erdbebenrisikomodell: Errechnete Todesfälle und Schäden in der Schweiz

In beiden Szenarien des SED wäre die gesamte Fläche der Schweiz stark von den Auswirkungen des Erdbebens betroffen. 70 Prozent der Gebäude in den am stärksten betroffenen Kantonen würden mässige bis zerstörerische Schäden aufweisen. Beim Basler Szenario würden schweizweit rund 77‘000 Gebäude solche Beschädigungen aufweisen. Es müsste mit ungefähr 3‘000 Todesopfern und Gebäudeschäden von circa 45 Milliarden Schweizer Franken gerechnet werden.

Es könnte zudem zu Betriebsunterbrüchen oder Schäden an Infrastrukturen kommen. Die daraus entstehenden Beträge wurden noch nicht berechnet. Der Schweizerische Erdbebendienst (SED) an der ETH hat im Auftrag des Bundesrates und in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Umwelt (BAFU), dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS), der EPFL und weiteren Partnern aus der Wirtschaft das nun erste öffentlich zugängliche Erdbebenrisikomodell für die Schweiz entwickelt.

Mit dem interaktiven Erdbebenrisiko-Tool lässt sich das persönliche Erdbebenrisiko anhand von vier Faktoren ermitteln. Es erklärt, wie das Risiko gemindert werden kann.

Grösste Risiken in Städten

Das grösste Erdbebenrisiko besteht in der Stadt Basel, gefolgt von Genf, Zürich, Luzern und Bern. Wegen ihrer Grösse befinden sich in allen fünf Städten zahlreiche Personen und Werte, die bei einem Erdbeben betroffen wären. Das Risikomodell ermöglicht erstmals eine fundierte Schätzung der zu erwartenden Schäden. Dazu werden Werte basierend auf detaillierten Informationen zur Erdbebengefährdung, zum Einfluss des lokalen Untergrunds, zur Verletzbarkeit von Gebäude sowie zu den betroffenen Personen kombiniert.

Mit den meisten Gebäudeschäden ist in den Kantonen Bern, Wallis, Zürich, Waadt und Basel-Stadt zu rechnen. Rund die Hälfte der geschätzten finanziellen Verluste fallen auf sie.

Mögliche Auswirkungen von 59 Erdbebenszenarien

Die 59 Erdbebenszenarien helfen der Öffentlichkeit, den Behörden und der Wirtschaft, sich besser auf Erdbeben und ihre möglichen Folgen vorzubereiten. Bei den Szenarien für die Kantonshauptorte ist jeweils angegeben, wie häufig mit einem Beben der Magnitude 6 im Umkreis von 50 Kilometern zu rechnen ist. Es werden die zu erwartenden Folgen von zehn historischen Erdbeben und einem Schadensbeben in jedem Kanton veranschaulicht. «Erdbeben der Stärke 6 ereignen sich alle 50 bis 150 Jahre irgendwo in der Schweiz oder im grenznahen Ausland», sagt Dr. Michèle Marti, Leiterin Kommunikation und Forschungsgruppe Risikokommunikation Schweizerischer Erdbebendienst an der ETH Zürich. Mit dem Klick auf die interaktive Karte können verschiedene Szenarien genauer angeschaut werden.

Schnelle Schadenschätzung durch den Erdbebendienst

Dank des Erdbebenrisikomodells wird der Erdbebendienst in Zukunft nach jedem Beben mit einer Magnitude von 3 oder grösser eine schnelle Schadensabschätzung veröffentlichen. Ebenso lassen sich die Risiken für Gebäudeportfolios bestimmen oder detaillierte Szenarien für Städte und Agglomerationen erstellen. Damit verfügt die Schweiz als eines der ersten Länder weltweit über die Grundlagen, um fundierte Entscheide im Erdbebenfall treffen zu können.

Die Kosten für die Entwicklung des Erdbebenrisikomodells der Schweiz betrugen 4.5 Millionen Schweizer Franken, welche das Bundesamt für Umwelt (BAFU), das Bundesamt für Bevölkerungsschutz (BABS) und die ETH Zürich zu gleichen Teilen finanziert haben.

Binci Heeb

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