Versicherung: Eine Erfindung der Neuzeit? Von wegen!

25. Januar 2021 | Aktuell
Kopf von Plato: Bild von M P auf Pixabay

Nein, das älteste Gewerbe der Welt sind Versicherungen nicht. Aber die Möglichkeit, Risiken abzudecken, gibt es schon seit über zweitausend Jahren. 

Bereits im alten Rom waren Versicherungen und Sterbekassen durchaus geläufig. Den damaligen Herrschern waren die Zusammenhänge zwischen Arbeitsleistung und Gesundheitsgefährdung ihrer Untertanen sehr bewusst. Besonders betroffen waren in der Antike Bronzeschmiede, die Arsen oder Wismut verwendeten. Die Einatmung derer führte zu Krankheitserscheinungen wie Lungen- oder Blasenkrebs. 

Kenntnis von Berufskrankheiten hatte bereits zuvor der griechische Philosoph Platon im vierten Jahrhundert vor Christus. Er stellte fest, dass die Körper von Handwerkern durch deren Berufstätigkeit deformiert werden konnten. Eine ebenso grosse Persönlichkeit aus der Antike, der Arzt Hippokrates, erkannte und beschrieb zum Beispiel eindrücklich die Bleikolik eines Grubenarbeiters. 

Statue des Hippokrates, Bayerische Staatsbibliothek München, Wikimedia Commons

Aber trotz der Erkenntnis über arbeitsbedingte Gesundheitsschäden gab es bei der sozialen Sicherung noch keinen Unterschied zwischen Berufskrankheit, Krankheit, Unfall oder sonstige Leiden. «Versicherungen» erfolgten innerhalb der verschiedenen Gesellschaftsschichten noch rein intern. Die wohlhabenden, freien Bürger waren ohnehin in das soziale Netz der Familiengemeinschaft eingebunden. Und da die körperliche Arbeit in den klassischen antiken Gesellschaften in der Regel durch Sklaven geleistet wurde, galt zunächst der Grundsatz, dass die Folgen eines Unfalls oder anderen Schadens immer vom Betroffenen selbst zu tragen seien.

Zu Beginn des Kaiserreiches entstanden in Zwangsgenossenschaften umgewandelte Zusammenschlüsse, die heute recht modern anmuten. Immerhin wurden bei Unfall oder Krankheit Verdienstausfall im Form von Geld und Lebensmittel auf unbestimmte Dauer geleistet, Arzt- und Arzneikosten übernommen, besondere Vereinsärzte unterhalten, sowie Unterhalt für Hinterbliebene und Waisen gewährleistet.

Die Einrichtungen standen unter staatlicher Aufsicht, das Mitbestimmungsrecht der Mitglieder war festgeschrieben und auch die Beiträge und zu gewährenden Leistungen waren nach Höhe und Dauer klar geregelt. Nach internen Versicherungen und den ersten Krankenkassen in der Antike wurden die Assekuranzen zur Aufgabe von Kirchen und Ritterorden.

Klöster und Ritterorden als Ersatz für Genossenschaften

Die Genossenschaften verloren mit der Christianisierung und Auflösung des römischen Reiches zunehmend an Bedeutung. Krankenversorgung wurde zur vornehmlichen Aufgabe der Kirche und Ritterorden, wofür diese nicht nur private Spenden, sondern auch staatliche Gelder erhielten.

In der Schweiz beruhte im Mittelalter und in der frühen Neuzeit der Gedanke der Versicherung vor allem auf dem christlichen Gebot der Nächstenliebe. Eine wichtige Rolle spielte die nachbarliche und berufsständische Solidarität. Klöster, Stifte und Städte gründeten Spitäler und Spendhäuser, Speichergebäude für die Spendensammlung zugunsten von armen und in Not geratenen Bürgern. Parallel dazu schlossen sich alleinstehende Handwerkergesellen zu Bruderschaften zusammen, die Beiträge erhoben, kranke Mitglieder unterstützten und sich um eine angemessene Beerdigung von Verstorbenen kümmerten. In Zürich ist ein solcher Zusammenschluss von Wollenschläger und Wollenwebergesellen erstmals 1336 dokumentiert. 

Die Geschichte der Versicherung in der Schweiz

Zu den wenigen Schweizer Versicherungsgesellschaften, die vor 1848 gegründet wurden, gehörte die Schweizer Mobiliar. Sie war der erste professionelle private Versicherer des Landes. Das Unternehmen ist bis heute genossenschaftlich organisiert und beteiligt die Versicherten jährlich an den erwirtschafteten Überschüssen. Da die öffentlichrechtliche-rechtlichen Brandkassen und Gebäudeversicherungen keine Absicherung von Interieur vorsahen, wollten die Gründer der Mobiliar diese Lücke schliessen. Wer damals eine Police brauchte, konnte seine Prämien auch in Naturalien entrichten – etwa mit Gemüse, Eiern oder Schinken. 

Es war Alfred Escher, einflussreicher Politiker, Wirtschaftsführer und Eisenbahnunternehmer,   welcher als erster Industrieller ab Mitte des 19. Jahrhunderts die Gründung privater Versicherungsunternehmen vorantrieb. Vor ihm tätigten seit den 1830er Jahren französische Lebens- und Feuerversicherer wie La Nationale, Le Phénix und L’Union ihre Geschäfte, gefolgt von deutschen und weiteren britischen Assekuranzen ihre Geschäfte in der Schweiz.

Brunnen vor dem Hauptbahnhof in Zürich mit der Statue Alfred Escher. Commons Wikimedia

Erst mit der Gründung des Schweizerischen Bundesstaates 1848 kamen zögernd heimische Versicherer hinzu. Zuvor verfügten alle Kantone über eigene Einfuhrzölle und Währungen. Wer auf nationaler Ebene Versicherungen verkaufen wollte, musste bei jedem einzelnen Kanton eine eigene Lizenz besorgen. Die Enge der in Stände und Talschaften aufgeteilten Wirtschaftsräume verhinderte den für die Versicherung nötigen Risikoausgleich.

Die Gründung ging vor allem von der Initiative von Karl Anton von Lerber von Arnex aus, Mitbegründer der Berner Kantonalbank und politisch engagiert. Anfangs arbeitete die Gesellschaft nach dem reinen Umlageverfahren. Die im Lauf des Jahres eingegangenen Prämien wurden am Ende des Jahres an die Geschädigten ausgezahlt. Reichten die eingezahlten Beträge für besonders teure Schadenfälle nicht aus, mussten die Versicherten nachschiessen. Allerdings blieb die Bevölkerung gegenüber den neuen Versicherungen misstrauisch. Mehrere neu geschaffene Versicherungsunternehmen blieben erfolglos. 

Alfred Escher arbeitete ab 1857 mit Conrad Widmer zusammen, dem Gründer der Schweizerischen Lebensversicherungs- und Rentenanstalt, heute Swiss Life. Escher gab Widmers Geschäftsmodell mit der ebenfalls noch jungen Schweizerischen Kreditanstalt eine Art «Rückversicherung». Er war überzeugt, dass Versicherungen nur funktionieren können, wenn sich genügend Menschen bereit erklären, Prämien einzuzahlen. Die Kreditanstalt leistete mit 15 Millionen Franken Gewähr für die von der Rentenanstalt eingegangenen Versicherungsverträge. Als Gegenleistung für die Garantie durfte die Kreditanstalt die Geschäftsleitung und die Hälfte des Aufsichtsrates stellen, erhielt 40 Prozent des Gewinns und bekam sämtliche Gelder der Versicherung zur Verwahrung. 

Als zweite Sicherungsmassnahme beteiligte sich die Regierungen selbst. Drei Sitze im Verwaltungsrat der Rentenanstalt waren für die Regierung des Kantons Zürich reserviert. Die Idee trug Früchte. Neben der Rentenanstalt entstanden zwischen 1858 und 1878 sechs weitere Lebensversicherer, darunter La Suisse, Société d’Assurances sur la Vie, die Basler Lebensversicherungsgesellschaft und La Genevoise. 

Zur Bedeutung der Transportversicherung 

Zwar bildete sich in der Schweiz als Binnenland keine Schifffahrtsversicherung heraus, doch dank ihrer frühen Industrialisierung und engen Handelsbeziehungen entwickelte sich die Transportversicherung zu einem wichtigen Motor für die Schweizer Versicherungsindustrie. Die Gründer dieser Sparte waren häufig Händler aus der Textil- und Stickerei-Branche, aber auch Industrielle zahlreicher anderer Branchen. Für sie waren Schiffstransporte häufig die einzige Möglichkeit, ihre Waren in entfernte Absatzmärkte zu bringen. Das barg Risiken. Ab 1850 boten deutsche, französische und englische Versicherer die Deckung von Baumwolle von der «Pflanze bis zur Spindel» an. Die hiesigen Textilfabrikanten wollten jedoch nicht dauerhaft Prämien an ausländische Unternehmen zahlen, sondern das Versicherungsgeschäft selber in die Hand nehmen.

Swiss Re: Das 19. Jahrhundert war von schnellem und tiefgreifendem Wandel geprägt 

Vor sieben Jahren publizierte die Swiss Re zu ihrem 150. Jubiläum das Werk «Die Geschichte der Versicherung in der Schweiz» von Swiss Re Corporate History. Die interessante Geschichte der Assekuranz Helvetiens, die erst mit der Begründung des Schweizer Bundesstaates Mitte des 19. Jahrhunderts entstand.

Die starke Bevölkerungszunahme sowie das Handels- und Industriewachstum führten zu einem exponentiellen Anstieg der Risiken. Für die Übernahme und Risikoverteilung waren jetzt grosse, gut kapitalisierte Rückversicherer nötig. 

Swiss Re wurde 1863 zur Deckung dieser Nachfrage gegründet und entwickelte sich rasch zu einem weltweit führenden Rückversicherer. Die Versicherer mussten ihre Portefeuilles diversifizieren und einen Teil der wirtschaftlichen Gefahr weitergeben. Es entstand ein wachsender Markt für unabhängige Rückversicherer, welche die Risiken der Versicherer übernahmen und aufteilten. 

Grosse Risiken wurden damals oft im Rahmen einer Mitversicherung zwischen mehreren Gesellschaften aufgeteilt. Der Nachteil dieses Vorgehens war, dass sich Konkurrenten gegenseitig Zugang zu ihren Büchern gewähren mussten. Eine Lösung war die Rückversicherung über Landesgrenzen hinweg. Dies bedeutete aber wiederum, dass Kapital ausser Lande floss. Die ersten spezialisierten Rückversicherungsgesellschaften wurden vor allem zur Verhinderung eines solchen Kapitalabflusses und Stärkung der einzelnen Volkswirtschaften gegründet. Grosse Katastrophen trugen ebenfalls zur steigenden Nachfrage nach einer Risikoteilung bei, die über die zwischen lokalen Versicherern hinausging.

Gründung der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt Suva

Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt Suva nahm am 1. April 1918 ihren Betrieb auf. Die Versicherungsprämien unterschieden die versicherten Betriebe nach Gefahrenklassen und Gefahrenstufen. Sie schafften so einen Anreiz, durch Prävention das Unfallrisiko zu verringern. Die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs und der Ausbruch der Spanischen Grippe gestalteten den Start der staatlichen Unfallversicherung nicht einfach. Bereits im ersten Jahr wurden 105’863 Unfälle gemeldet, insgesamt 849 Invalidenrenten gesprochen. 

Über alles zahlte die Suva im Jahr 1918 Versicherungsleistungen in Höhe von 9,9 Millionen Franken aus. Ein Berufsunfall kostete durchschnittlich 241, ein Freizeitunfall durchschnittlich 276 Franken. Ende des Jahres zählte die Suva bereits 525 Angestellte. Das Verhältnis zwischen der Anstalt und den Arbeitgebern war in der Anfangszeit schwierig. Unternehmen kritisierten zu hohe Prämien, auch den Angestellten waren sie vielfach zu teuer. Erst Mitte der 30er Jahre entspannte sich die Vertrauenskrise zwischen den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern und der Suva. 

Das Drei-Säulen-Modell

Das Schweizer Altersvorsorge-Modell der drei Säulen, staatlich – betrieblich – privat, wurde in der Verfassung des Landes erst 1972 gesetzlich verankert. Die Mischung setzt sich seither aus einer staatlichen Grundversorgung, einer betrieblichen Pensionskasse, sowie der freiwilligen Lebensversicherung mit Steuerbegünstigung zusammen. Erste Ansätze zum Schweizer Rentenmodell gab es bereits im frühen 20. Jahrhundert mit dem Aufstieg der Pensionskassen, die sich an dem Ersparnis von Einzahlungen und nicht nach dem Umlageprinzip orientieren. 

Die Idee einer staatlichen Altersversicherung entstand in Anlehnung an die in Deutschland ab 1880 vom deutschen Politiker und Staatsmann Otto von Bismarck geschaffenen staatlichen Sozialversicherungen. Wegen politischer Widerstände wurde die staatliche Alters-und Hinterlassenenversicherung (AHV) allerdings erst 1948 gesetzlich verankert. Massgeblich verantwortlich für das heute nicht mehr wegzudenkende Sozialwerk war Hans-Peter Tschudi, der einzige Basler Bundesrat des vergangenen Jahrhunderts. Vielleicht erinnert sich das Parlament bei den nächsten Wahlen zur Landesregierung woher die grossen Ideen unseres Landes stammten.

Die Geschichte der Versicherung bis heute erscheint in einem weiteren Beitrag.

Binci Heeb


Tags: #Geschichte der Versicherung