Blog #9: Es muess e Bueb si…

8. Juni 2022 | Aktuell Blog
Blog #9: Es muess e Bueb si..
Blog #9: Es muess e Bueb si.Bild-Credits: ©Bruno Roeder // Thought Provoking Digital Artist // arcpics.ch

Nach 16 Jahren als selbständiger Broker konnte ihn kein Anliegen eines Klienten mehr verwundern. Im Gegenteil, je schwieriger die Aufträge sind, desto spannender der Weg zur Lösung, am Ende gibt es sie immer. Dachte er. Doch dann erhielt er Besuch, wie in Blog #9 zu lesen ist.

Erst ein Anruf, knapp zwei Stunde später sassen sie sich in seinem gegenüber. Ein äusserst sympathischer Mann um die 40 aus einem kleinen Bündnerdorf gegenüber. Er hatte es noch nicht so mit der digitalen Welt, war noch nie im Netz, aber vielleicht gerade deshalb war seine Frage knapp und klar: «Meine Frau und ich möchten endlich ein Kind, doch muss es ein Bub sein. Welche Versicherung übernimmt die anfallenden Kosten im Falle, dass das Baby ein Meitli ist?»

Des Brokers Antwort kam schnell und heftig. «Keine, Gott sei Dank!»

Harte Arbeit

Gegenüber dem Drang den plötzlich nicht mehr sympathischen Mann sofort an die Luft zu setzen, überwog das Interesse an der Ursache dieser kranken Idee. Der Hintergrund änderte nichts an seiner Empörung, zeigte jedoch deutlich wie in der reichen Schweiz auch heute noch hart arbeitende, zutiefst ehrliche Menschen gezwungen sind, Monat für Monat um den Erhalt ihren wirtschaftlichen Existenz zu kämpfen. Dabei aus  falschem Scham und Angst des vermeidlichen Verlusts an Würde sich unter keinen Umständen nach Anspruch auf die unbestreitbar zustehende Sozialhilfe schon nur zu fragen. Die gilt übrigens, nicht nur auf dem Land und in den Bergen, wie ihm das Bundesamt für Statistik BFS, Bern, bestätigte.

Die Geschichte seines Gastes ist schnell erzählt. Als gelernter Hufschmied reichen ihm die immer selteneren Aufträge schon seit einigen Jahre längst nicht mehr selbst für ein bescheidenes Einkommen aus. Die Tore der Schmitti bleiben wochenlang zu. So hilft er nun seinem Vater in dessen Einmann-Transportunternehmen mit Kleinbus, wenn immer nur möglich aus. Mittlerweile mit einem Pensum von circa 80 Prozent. 

Doch auch da ist das Trinkgeld meist höher, als die zu verrechnenden Wegstrecken. Ein Wegzug aus der Heimat seiner Vorfahren kommt nicht in Frage, aber im Kleinstbetrieb des Vater sieht er eine Zukunft und möchte es, wenn der Herr Papa in gut 20 Jahren altersgemäss die schwere Fracht (landwirtschaftliche Geräte, Maschinen und Ersatzteile aller Art) aufhören muss, ganz übernehmen. Doch dann? Diese Aufgabe ist im wahrsten Sinne Schwerstarbeit, verlangt enormen körperlichen Einsatz oft über die verantwortbaren Grenzen hinaus. Deshalb braucht es Familienzuwachs «… begriffed Sie doch, es muess en Bueb si».

Natürlich konnte der Broker dem in mehrerer Hinsicht armen Mann nicht helfen. Sein erneuter Vorschlag sich doch noch für ein höchst vertrauliches Grundsatzgespräch in Chur mit dem Sozialamt des Kantons Graubünden in Verbindung zu setzen, führte zur fluchtartigen Abreise. Seither hat er nie mehr etwas von oder über ihn gehört.

Was erlaubt die Reproduktionsmedizin in der Schweiz

Die Geschichte liess ihn jedoch nicht los. Er fragte einen ihm flüchtig Bekannten, Professor der Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, ob es bei der Zeugung Möglichkeiten gäbe, die das Geschlecht des künftigen Erdbewohners eventuell beeinfluss könne. Hier, so der Forscher, seien seit Menschengedenken die verschiedenste Gerüchte über Astrologie, Mondstand, Sexualpraktiken oder Ernährungsverhalten im Umlauf. Wenn eine dieser Methoden Wirkung zeige, sei dies reiner Zufall was bei einer Chance von jeweils +/-  50 Prozent kein Wunder sei, aber die Volksmärchen befeuere.

Bei einer künstlichen Befruchtung sei die Wissenschaft jedoch heute sehr wohl in der Lage unter anderem das von den Eltern gewünscht Geschlecht zu wählen. Dies sei aber in der Schweiz aus ethischen Gründen und den in diesem Teilbereich verschärften neuen Gesetzen zur Embryonenselektion streng verboten. 

Und trotzdem gibt es sie diese «Wunschkinder», nicht überall sind die immer zahlreicheren medizinischen Möglichkeiten der Embryonengestaltung untersagt. Wer also ein Desigernbaby will, braucht nur in die Staaten zu fahren und soll – so die Meinung des Brokers – gleich dort bleiben.  

Binci Heeb

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Tags: #Designerbaby #Reproduktionsmedizin