«Plan 75»: Wie Japan seine Senioren loswerden will

4. September 2023 | Aktuell Allgemein
«Plan 75»: Wie Japan seine Senioren loswerden will
«Plan 75»: Wie Japan seine Senioren loswerden will.

«Plan 75» ist ein Film. Nur? Eine Produktion, mit der seine Schöpferin Chie Hayakawa anlässlich der Filmfestspiele von Cannes Premiere gefeiert hat. Der Spielfilm zeigt einen Weg aus der Überalterung Japans, indem er ältere Menschen ermutigt, Undenkbares zu tun.

Das Thema Überalterung ist in den meisten postindustriellen Staaten ein Problem, aber nirgends so sehr wie in Japan. Die Schweiz zählte Ende 2021 eine ständige Wohnbevölkerung von 8 738 800 Personen. Gemäss Bundesamt für Statistik (BFS) war jede fünfte Frau und jeder sechste Mann älter als 64 Jahre alt. Von Januar bis Dezember 2021 erhöhte sich die Zahl der Personen ab 65 um +1,9 Prozent, was zeigt, dass die Bevölkerung der Schweiz 2021 weiter altert.

650 Franken Bonus für freiwillige Sterbehilfe

Damit die Menschen ab 75 Jahren von freiwilliger Sterbehilfe Gebrauch machen, werden sie im Film «Plan 75» vor dem Suizid mit 100 000 Yen (650 Franken) verführt. Über diese Summe dürfen sie verfügen wie sie wollen, selbst vererben. Als Antwort auf den wachsenden Unmut der Jungen verabschiedet das japanische Parlament auf der Leinwand das Gesetz «Plan 75». Die Protagonisten des Films sind die 78-jährige Michi, die «Plan 75» beanspruchen will, der junge Hiromu, der «Plan 75»-Verträge verkauft, und die Filipina Maria, die aus Finanznot Sterbebegleiterin wird.

«Plan 75» gestattet es allen gesunden oder kranken Menschen ab 75 zum Wohle Japans Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen. Und das gegen 100 000 Yen, 650 Franken.

Filmerin von Massenmord inspiriert

Basis dieses dystopischen Films bildete für Hayakawa ein realer Massenmord. Bei einem Amoklauf 2016 in einem Behindertenheim in der Nähe der japanischen Hauptstadt Tokio tötete ein junger Mann, ein früherer Mitarbeiter des Heims, mit einem Messer 19 Menschen. Als Grund gab er an, dass diese seiner Einschätzung nach nur noch «dahinvegetierten» und er die Gesellschaft von «unwertem Leben» befreien wollte.

Dystopie versus Realität?

So beunruhigend der dystopische Film, noch beunruhigender die Aussage des japanischen Finanzministers Taro Aso Anfang 2013. Während einer Sitzung des nationalen Rates der Sozialversicherungsreform sagte er: die Alten sollen sich «beeilen und sterben», um den Staat von der Last der medizinischen Versorgung zu befreien. Aso drückte damit klar aus, dass alte Menschen eine unnötige Last für die Finanzen des Staates seien. Er meinte weiter: «Es sollte verboten sein, wenn man zum Leben gezwungen wird und eigentlich sterben will. Ich würde aufwachen und mich schlecht fühlen, wenn ich wüsste, meine Behandlung wird vom Staat bezahlt».

In der Schweiz: Sterbehilfe weil «lebenssatt»

Eine grosse Mehrheit von Exit-Mitgliedern fordert Sterbehilfe im Alter, auch wenn man nicht todkrank, aber lebenssatt ist. Einer repräsentativen Online-Umfrage des Beobachters zufolge wollen nur 41 Prozent, dass sich Ältere auch ohne schwere Krankheit begleitet das Leben nehmen können.  

Möge dem früheren japanischen Finanzminister Taro Aso noch ein langes schlechtes Gewissen vergönnt sein. Er zählt heute stolze 82 Jahre.

Binci Heeb

Lesen Sie auch: Zahlt die Lebensversicherung auch bei Suizid und bei Freitodbegleitung?


Tags: #Film #Plan 75 #Senioren #Sterbehilfe #Suizid #Überalterung