Genderstern adieu: Ein Zwischenruf der Chefredaktorin

14. Juli 2023 | Aktuell Allgemein
Genderstern adieu: Sie waren gefragt, wir antworten.
Genderstern adieu: Sie waren gefragt, wir antworten.

thebroker hat, nachdem sich immer wieder Leserinnen und Leser am Genderstern gestört haben, entschieden, wieder zur alten Schreibweise zurückzukehren und zwar per sofort. Einverstanden?

Gemäss einer Umfrage auf LinkedIn wollten nur gerade 3 Prozent der Lesenden den Genderstern beibehalten, oder verzichten ohnehin selbst auf dessen Nutzung. Nicht viel besser erging es dem Genderdoppelpunkt, der 6 Prozent der Stimmen erhielt. 22 Prozent war es egal und eine überragende Mehrheit von 70 Prozent bevorzugt die alte Schreibweise. Auch gemäss einer aktuellen Umfrage von 20 Minuten und Tamedia mit 30’754 beteiligten Personen benutzen nur gerade 5 Prozent der Schweizer*innen den Genderstern.

Seit dreieinhalb Jahren verwendet thebroker in seinen Artikeln den Genderstern. Unsere bisherigen Lektorinnen, beides Studentinnen, hatten durchgesetzt, ihn bei allen Artikeln zu verwenden. Da sich jedoch die Mehrheit unserer Leserinnen und Leser daran stört, hat sich thebroker nun entschieden, wieder zur alten Schreibweise zurückzukehren. 

Und ja, ich bin für die Gleichstellung jeglicher politischen, wirtschaftlichen, persönlichen und sozialen Rechte der Frauen. Jedoch nicht fanatisch, aber mir sind die Anliegen meines Geschlechts sehr wichtig. Gleicher Lohn bei gleicher Arbeit, Frauen in Führungspositionen und vieles mehr sind für mich eine längst überfällige Forderung und glücklicherweise immer öfter Tatsache. Natürlich ist es jeder und jedem unbenommen, alle Geschlechter mit dem Stern zu huldigen, obwohl es mich beim flüssigen Lesen stört. Mir aber bitte lasst die alte Schreibweise.

Generisches Maskulinum – wen stört’s?

Bei der männlichen Form fühle ich mich selten bis nie ausgeschlossen. Als äusserst befremdlich empfinde ich, wenn in der gesprochenen Sprache, nach einem kurzen Stocken die weibliche Form gewählt wird. So will ich nicht sprechen und auch nicht angesprochen werden. Natürlich gibt es Beispiele wo beide Geschlechter genannt werden, interessanterweise meist dort, wo diese auch vor dem Gendern verwendet wurden.

Wussten Sie, dass sogar der Bund keine Gerndersterne oder ähnliche Schreibweisen verwendet? Je nach Situation kommen dort Paarformen (Bürgerinnen und Bürger), geschlechtsabstrakte Formen (versicherte Person), geschlechtsneutrale Formen (Versicherte) oder Umschreibungen ohne Personenbezug zum Einsatz. Die mit Abstand beste aller denkbaren Formen.

Unglückliche Lektorin

Unsere Lektorin, Amélie Beauregard, ist enttäuscht, dass sich thebroker entschieden hat, mit dem Gendern aufzuhören. Es war eine Eigenschaft, die sie an den Artikeln geschätzt habe, gerade in einer Branche, in der das Gendern oder inklusive Schreibweisen noch nicht sehr verbreitet sind. Sie hat thebroker als eine Art Vorreiter angesehen und bedauert es, dass wir uns nun für einen anderen Weg entschieden haben.

Der Fakt, dass genderinklusive Sprache in vielen Bereichen noch nicht angekommen ist, sei kein Grund, das generische Maskulinum beizubehalten. Mittlerweile gäbe es zahlreiche Studien, die belegen, dass Sprache unsere Wahrnehmung massgeblich beeinflusst. Das generische Maskulinum sei altmodisch und trage dazu bei, patriarchale Strukturen aufrechtzuerhalten. So sei es bei geschlechterneutralen Sprachen wie Englisch oder Schwedisch der Fall, dass Menschen offener über Geschlechterrollen nachdenken können als in gegenderten Sprachen wie Deutsch oder Französisch (Prewitt-Freilino, Caswell, Laakso 2012; Criado Perez 2019, pp. 1-25). Gendern sei wichtig, um dem entgegenzuwirken. Zudem findet sie die Aussage, dass das generische Maskulinum «alle» integriere, höchst problematisch. Einerseits ginge es dabei darum, wie die Nachricht bei den Empfänger*innen ankomme, da Kommunikation nicht einseitig ablaufe, und andererseits würden alte Stereotypen aufrechterhalten werden.

Was sagt der Duden?

Seit 2021 gendert der Duden online alle 12 000 Berufsbezeichnungen. Im Zuge der geschlechtergerechten Sprache bekamen Berufe wie «Lehrerin», «Pfarrerin» oder «Anwältin» sogar einen eigenen Eintrag. Damit sind sie nicht mehr nur ein Verweis in der männlichen Sprache. Das generische Maskulinum darf allerdings weiterhin verwendet werden, der Duden empfiehlt es jedoch nicht, da jetzt häufig nicht mehr sicher sei, ob es wirklich generisch gemeint ist oder nicht. Siehe da, sogar die selbsternannte Bibel der deutschen Schriftsprache sichert sich vorsichtig ab.

Andere Länder, anderes Gendern

Auch Länder wie Frankreich, Polen, Russland oder Spanien, um nur einige aufzuzählen, kennen die Genderdebatte. 

In Frankreich wird um die Mediopunkte gestritten. Die dort so genannte inklusive Schreibweise, kann durch zwei Punkte an verschiedenen Stellen gezeigt werden, zum Beispiel bei: député.e.s. 

In Polen, wo nur die Kirche das Gendern offiziell ablehnt, verändert das Geschlecht des Substantivs nicht nur seine Endung, sondern auch die Endungen der untergeordneten Adjektive und die Verbformen.

Wieder anders verhält es sich in Russland, wo höhere Berufe ausschliesslich mit männlichen Bezeichnungen beschrieben werden. Eine Möglichkeit für die weibliche Berufsbezeichnung wäre das Suffix «ka». Doch ist dieses gleichzeitig auch eine Verkleinerungsform. Aus Arzt würde demnach Ärztchen. 

Das Spanische kennt klare Gender-Unterschiede. Bisher scheiterte die Idee, aus dem geschlechtsdefinierenden Vokalen «a» und «o» ein «@»-Zeichen zu machen beim Sprechen. Zudem existiert die Möglichkeit, neue Pluralformen wie «amigues» statt «amigos» oder «amigas» zu benutzen.

So macht es jetzt thebroker

In einer Kolumne vom 30. Juni 2023 schrieb die Journalistin Katërina Latifi im «Das Magazin» des Tages Anzeigers, dass sie sich gern des generischen Maskulinums bediene, da es alle integriere. Dem kann ich mich nur anschliessen, zumal selbst der Duden schreibt, dass die geschlechtsübergreifende Verwendung eines maskulinen Wortes für alle Menschen gelte. Sollte sich am Regelwerk in Zukunft etwas verbindlich ändern, werden wir unseren heutigen Schritt überdenken.

Nüd für Unguet.

Binci Heeb

Lesen Sie auch: Wir sind die klugen Köpfe hinter dem Online-Magazin «thebroker»


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