Gemäss heute noch immer geltender Nationaler Risikoanalyse von 2015 das grösste Risiko für die Schweiz: Strom-Mangellage

13. Juli 2020 | Aktuell
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Bild: Pegels

Eine langanhaltende Strom-Mangellage – an dieses Wort muss man sich erst einmal gewöhnen – gehöre zur grössten Katastrophe, mit welcher die Schweiz zu rechnen habe. So beschreibt es die Nationale Risikoanalyse des Bundesamtes für Bevökerungsschutz BABS aus dem Jahr 2015. Grund genug für «thebroker» nachzufragen, was Bund, Kantone und E-Werke in der Zwischenzeit unternommen haben.

Dienstagmorgen, Sie erwachen nach einer traumlosen Nacht, der Blick schweift auf die digitale Anzeige des Weckers. Doch da leuchtet nichts, tot. Die analoge Uhr zeigt 08.30 Uhr ist bereits vorbei. Verschlafen. Also schneller Gang ins Bad – nur kaltes Wasser. Der Kaffee muss trotzdem sein, oder vielmehr sollte, doch die Maschine macht keinen Wank. Jetzt herrscht Gewissheit: Zuhause fehlt der Strom. Sauer geht es Richtung Büro. Die Ersten des Teams tauchen auf. Allgemeines Entsetzen. Hier funktionieren weder PC, Internet, Telefon-Zentrale, Steckdosen. Kein Strom… 

Definition einer Strom-Mangellage

So dürfte der Alltag für lange Zeit gemäss der Nationalen Risikoanalyse aussehen, wenn die gefürchtete Strom-Mangellage auftreten würde. Damit gemeint ist eine überraschende, bis mehrere Monate andauernde Stromunterversorgung von 30 Prozent. Und diese Gefahr ist real. Gemäss Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung BWL klafft bei Strom-Mangellage Angebot und Nachfrage von elektrischer Energie aufgrund zu geringen Produktions-, Übertragungs- und/oder Importkapazitäten während mehrerer Tage, Wochen oder Monaten weit auseinander. 

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS untersuchte die Frage, welche Katastrophen und Notlagen auf die gesamte Schweiz zukommen können und mit welchen Schäden gerechnet werden muss. Die Nationale Risikoanalyse aus dem Jahr 2015 zeigte echten Handlungsbedarf. 

Eine solche Mangellage entsteht durch die Verkettung von Ereignissen. So verringert sich die Eigenproduktion nach einem trockenen Sommer zum Beispiel aufgrund tiefer Pegelstände in Flüssen und Stauseen. Also muss Energie auf dem Markt zugekauft werden. Doch die Situation verschärft sich dramatisch, wenn mit einem Mal Strom nicht mehr beliebig importiert werden kann, weil das umliegende Ausland selbst mit Produktions-, oder eigenen Lieferengpässen kämpft. Das Risiko einer Mangellage steigt weiter, sollten die Übertragungskapazitäten, zum Beispiel durch Infrastrukturschäden aufgrund eines Naturereignisses, eingeschränkt sein, ganze europäische Lieferketten ausfallen und die Lieferungen zusammenbrechen.

Rationierung des Stroms

Für diesen ausserordentlichen Fall sind mögliche Notmassnahmen vorbereitet. Während einer Mangellage wird der Strom rationiert – jede Region erhält nur eine begrenzte Anzahl Stunden täglich Elektrizität. Ein solches Szenario würde selbst nach den Corona-Erfahrungen zu immensen ökonomischen und immateriellen Schäden für die Wirtschaft und die Gesellschaft führen. Es wird mit einem Schaden von über 100 Milliarden Franken gerechnet. Die Häufigkeit eines derartigen Ereignisses schätzen die Experten aufgrund ihrer Studie von 2015 auf einmal in dreissig bis hundert Jahren.

Bild: music4life auf pixabay

Die Organisation für Stromversorgung in Ausserordentlichen Lagen OSTRAL wird beim Eintreten einer Strom-Mangellage auf Anweisung der Wirtschaftlichen Landesversorgung WL sofort aktiv. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen VSE hat die OSTRAL ins Leben gerufen, um die notwendigen Vorbereitungen zur Bewältigung einer derartigen Notlage zu treffen. Es handelt sich dabei offiziell um eine «schwere Mangellage» nach Art. 102 der Bundesverfassung.

Wirtschaftliche Landesversorgung WL: Zuständig auf Bundesebene

«Im Falle einer Strom-Mangellage ist es das Ziel der WL, mit verschiedenen Bewirtschaftungsmassnahmen eine konstante, flächendeckende Versorgung so lange, wie möglich sicherzustellen. Ist dies nicht mehr umsetzbar, konzentriert sich die WL darauf, eine reduzierte Stromversorgung aufrecht zu halten, um ein eingeschränktes, aber geordnetes gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen. Die Bewirtschaftung erfolgt einerseits durch Verbrauchslenkung (bspw. durch Verbot gewisser elektrischer Anwendungen oder durch Kontingentierung von Grossverbrauchern), andererseits durch Angebotslenkung (bspw. durch zentrale Bewirtschaftung steuerbarer Kraftwerke)», sagt Regula Rutz, in der Geschäftsleitung vom WL.

Wie ist die grösste Stromproduzentin in der Schweiz vorbereitet?

Für die Versorgungssicherheit gilt laut den Recherchen von «thebroker» ein System mit Teilverantwortlichkeiten. Kein Stromproduzent hat demnach eine integrale Gesamtverantwortung für die Stromversorgungssicherheit alleine.

Axpo liefert als grösste Schweizer Stromproduzentin einen substanziellen Teil (mehr als einen Drittel des Schweizer Stromverbrauchs) an die hiesige Stromversorgung. Der Energiekonzern trägt mit seinem mehrere tausend Kilometer langen Verteilnetz zur Schweizer Versorgungssicherheit bei. Er hat in den letzten drei Jahren grosse Investitionen in die Modernisierung und Instandhaltung seiner Verteilnetze getätigt. Zusätzlich sind für die kommenden Jahre rund 100 Millionen Franken jährlich eingeplant, sollte dies die aktuelle und mittelfristige Wirtschaftslage zulassen. 

Im Falle einer Strom-Mangellage grösseren Ausmasses greifen bei der Stromproduzentin Axpo automatisch die Mechanismen des Krisenmanagements und der Krisenkommunikation. Dabei ist besonders die Kommunikation gegenüber der Bevölkerung in enger Absprache mit den zuständigen Behörden der Kantone und des Bundes klar geregelt. Aufgrund ihrer systemrelevanten Anlagen und Infrastrukturen im Bereich der Stromnetze und der Kraftwerke entwickelte Axpo ein vielfach erprobtes Vorgehen, das regelmässig getestet und optimiert wird. 

Die Kantone Zürich und Basel-Stadt antworten auf Anfrage von «thebroker» folgendermassen:

Wappen des Kantons und der Stadt Zürich ©Stadt Zürich

Das Amt für Wirtschaft und Arbeit des Kantons Zürich sagt zur vorgesehenen Speicherreserve: Insbesondere im Frühling, wenn die Stauseen vor der Schneeschmelze nahezu leer sind, könnten bei ausserordentlichen Ereignissen wie einer unerwarteten Kälteperiode mit stark erhöhtem Strombedarf nicht genügend Reserven zur Sicherstellung der Stromversorgung vorhanden sein. Die Schweiz wäre dann zwingend auf Import angewiesen. Dies in einem Zeitraum, in dem gegebenenfalls auch im Ausland der Strom knapp wäre. Angesichts der hohen volkswirtschaftlichen Kosten eines grossflächigen Stromausfalls bzw. einer Strom-Mangellage ist deshalb eine angemessene Speicherreserve zu befürworten. 

Der Kanton Zürich hat Ende 2018 eine Gefährdungsanalyse und Massnahmeplanung für die wirtschaftliche Landesversorgung durchgeführt und die Resultate 2019 anschliessend für die Umsetzung von Optimierungsmassnahmen weiterverarbeitet. Die erste Phase des Projekts hatte das Ziel, die kritischen Versorgungsprozesse zu identifizieren und die Zusammenarbeit der involvierten Bereiche zu evaluieren. Diese Analyse basierte auf den im Kanton Zürich gefährlichsten Gefährdungen. Darunter findet sich auch die Strom-Mangellage, welche neben Pandemien als höchste Gefährdung gilt. 

Die Information der Bevölkerung erfolgt abhängig vom Dringlichkeitscharakter der Inhalte über die für den Bevölkerungsschutz zuständige Kantonale Führungsorganisation oder die entsprechende Stabsstelle im Amt für Wirtschaft und Arbeit. Dessen Amtschefin stellt als Kantonale Delegierte für wirtschaftliche Landesversorgung auch die Verbindung zum Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung sicher. Die Funktion der Information der Bevölkerung reicht von deren /Aufklärung über Appelle und Verhaltensanweisungen bis zu Anordnungen.

Wappen des Kantons Basel-Stadt. Autor unbekannt

Das Justiz- und Sicherheitsdepartement des Kantons Basel-Stadt hat eine klare Haltung zum Umgang mit einer Strom-Mangellage. Damit die Einsatzorganisationen auch im Ereignisfall der Strom-Mangellage helfen können, müssen sie regelmässig ihre eigene Einsatzfähigkeit überprüfen. Dies stellt jede Organisation mit Notstromaggregaten und weiteren Redundanzen sicher. Die Bevölkerung wird durch die Präventionsarbeit der Fachspezialisten über mögliche Risiken und Gefahren aufgeklärt und auf Vorbereitungsmassnahmen sensibilisiert, wozu z.B. auch hier wieder stärker erns tgenommene Notvorrat gehört. Basel-Stadt ist zudem aktiver Nutzer der Alertswiss-App, welche Abonnentinnen und Abonnenten über akute Ereignisse alarmiert.

Ferner appelliert der Kanton an eine gewisse Selbstverantwortung in Vorbereitung und Akutbewältigung (zum privaten/individuellen/emphohlenen Notvorrat gehören auch Batterien und Kerzen). Ein koordiniertes, partnerschaftliches System von Fachspezialisten sorgt zudem tagtäglich dafür, dass kleinere Ereignisse nicht zu Grossereignissen werden. Deren Botschaft lautet:

  • Gemeinsam sind wir besser vorbereitet/stärker!
  • Steigerung der individuellen Resilienz = Steigerung der kollektiven Resilienz = kleineres Schadenausmass und Dauer eines Ereignisses wie einer Strom-Mangellage

Wer zahlt für den Schaden?

In Standardversicherungen ist das Risiko einer Strom-Mangellage in der Regel nicht eingeschlossen. Zu einem der Hauptprobleme gehört, dass der Stromunterbruch durch die Behörde angekündigt wird und nicht unfallmässig eintritt, was nicht zu einem Versicherungsfall führt, da der Schaden vorauszusehen ist. Die Gebäudeversicherung deckt Feuerschäden an der Haustechnik aber keine Stromwirkungsschäden.

Versicherungsschutz für Schadensfälle aus Stromunterbrüchen ist nur ansatzweise zu finden. Möglicherweise sind Tiefkühlschränke und deren Inhalt durch bestehende All Risk-Versicherungen gedeckt. Gebäudetechnik wiederum muss bei Stromunterbrüchen und Überspannungen separat versichert werden. Für Betriebe gilt, dass häufig nur Maschinen-Betriebsunterbrechungsversicherungen Deckung für Unterbrechungsschäden als Folge von Stromunterbruch bieten. 

Das zweitgrösste Risiko: Pandemie

Trotz den seit Jahren anhaltenden heissen und vor allem trockenen Sommern sowie den auch in Europa zunehmenden Unwetterereignissen ist der Gedanke an eine Strom-Mangellage aus dem Scheinwerferlicht gerückt. Die Corona-Pandemie, übrigens laut heute gültiger Nationaler Risikoanalyse 2015 als das zweitgrösste Risiko eingestuft, hat gezeigt, wie verletzlich wir alle sind. Oder haben Sie noch Anfang Jahr je mit einem Lockdown und der wirtschaftlich grössten Krise dieses und des letzten Jahrhunderts auch nur im Entferntesten gerechnet? Seien Sie versichert, «thebroker» auch nicht.

Nachtrag vom 15. Juli 2020 des Kantons Bern

Gemäss Oliver Andres, Stabschef und stv. Amtsvorsteher beim Amt für Bevölkerungsschutz, wurde innerhalb des Kantonalen Führungsorgans (KFO) ein Fachstab Logistik und Ressourcen aufgebaut, in dem das KFO mit der BKW Energie AG, der Swisscom, Coop, Migros, etc. zusammenarbeitet. Gemeinsam mit der BKW werden die Abschaltungen verfeinert und zum Beispiel die von den Abschaltungen, sofern technisch möglich, auszunehmenden Objekte definiert.

Es wurde eine Soll-Ist-Analyse zur Stromversorgung mit verschiedenen Massnahmenvorschlägen zur Verbesserung der Resilienz eingeführt. Das Projekt «Notfalltreffpunkt», um zum Beispiel auch bei einer Strom-Mangellage/Stromausfall die Bevölkerung informieren zu können, ist weit fortgeschritten.

In der Vorsorge gibt es den Verweis auf die Information des Bundes (Alertswiss/Notfallplan/Notvorrat). Im Ereignisfall wird über elektronische Medien (zumindest Radio funktioniert auch bei Stromausfall, wenn ein batteriebetriebener Empfänger zur Verfügung steht); wenn sonst nichts mehr funktioniert über Notfalltreffpunkte in allen Gemeinden. Die Botschaft besagt, dass Strom-Mangellage ein realistisches Szenario (mit einer gewissen Vorlaufzeit) ist.

Binci Heeb


Tags: #Alertswiss-App #All Risk-Versicherung #Gebäudeversicherung #Nationale Risikoanalyse 2015 #Notvorrat #Strommangellage