Elementarschadenversicherung: 2021 voraussichtlich das schadenreichste Jahr seit 2007

30. August 2021 | Aktuell

Die Schweiz wurde in den letzten Jahren mehrfach von heftigen Naturkatastrophen heimgesucht. Darunter: Lawinenereignisse, Stürme, Waldbrand, Felsstürze und Hitzewellen. Insbesondere dieser Sommer brachte zudem grosse Mengen an Starkregen und viel Hagel.

Zu den wichtigsten Vorfällen der jüngeren Geschichte zählen gleich mehrere Lawinenereignisse im Februar 1999, Stürme wie «Lothar» und «Martin» im Dezember des gleichen Jahres, auch die Hitzewelle im August 2003, das Augustunwetter 2005, schwere Unwetter im Jahr 2007, der Waldbrand in Visp VS, April 2011, der Felssturz in Gurtnellen von Juni und November 2012 gehörten dazu sowie das Gewitter am Eidgenössischen Turnfest Biel im Juni 2013, die Hitzesommer 2015 und 2018, die Hitzewelle im Juni 2019, eine Rekordwärme 2020, und der nasseste Juli seit Messbeginn von diesem Jahr in Teilen der Kantone Tessin, Uri und Thurgau. Und noch ist es nicht Silvester.

Doch schon heute steht fest, 2021 dürfte das ereignisreichste und teuerste Jahr seit beinahe zwei Dekaden werden. Die 19 kantonalen Gebäudeversicherungen gehen von Schäden von derzeit 660 Millionen Franken aus. Am stärksten traf es die Regionen Zentralschweiz (LU, ZG, NW) und Espace Mittelland (BE FR, SO, NE, JU), wobei der Gebäudeversicherer des Kantons Luzern mit 200 Millionen am meisten betroffen war. Die Schweizerische Hagelversicherung nahm zwischen Anfang Juni bis Ende Juli über 19 500 Schadensmeldungen in der Höhe von rund 136 Millionen Franken entgegen. Bei den Privatversicherern rechnet alleine die Mobiliar gemäss NZZ mit Kosten von 340 Millionen Franken für die Juni- und Juliunwetter.

Ursprung der Elementarschadenversicherung

Die Ursprünge der Elementarschadenversicherung (ES-Versicherung) gehen auf die 1920er Jahre zurück. Zuvor hemmten die Unabsehbarkeit des Eintritts der Ereignisse, die versicherungsmathematisch schlecht fassbare Schadenerwartung sowie fehlende statistische Grundlagen die Einführung einer Versicherung. Bis in die 1930er Jahre sprach man von «unversicherbaren Elementarschäden». Zwischen 1926 und 1935 nahmen die kantonalen Gebäudeversicherungsanstalten der Kantone Appenzell Innerrhoden, Waadt, Bern, St. Gallen, Glarus, Luzern, Neuenburg, Solothurn, Graubünden, Thurgau, Aargau und Zürich ihren Deckungsbereich auf. 

Im Anschluss an den katastrophalen Lawinenwinter 1950/51 führten die privaten Schweizer Versicherungsgesellschaften die eigentliche ES-Versicherung im Rahmen eines Pools ein. Die ES-Versicherung wurde im Jahr 1993 gesetzlich verankert. Gleichzeitig wurde das Konzept der doppelten Solidarität hervorgehoben. Das wesentlichste Merkmal ist die Koppelung der Feuerversicherung mit der ES-Versicherung in der Weise, dass keine Feuerversicherung ohne ES-Deckung abgeschlossen werden darf. Damit soll die notwendige Solidarität unter den Versicherungsnehmern sichergestellt werden. Das heutige System der ES-Versicherung in der Schweiz ist im internationalen Vergleich einzigartig.

Kantonale Gebäudeversicherung und Privatversicherer

Die ES-Versicherung ist für Gebäude in den meisten Kantonen obligatorisch und an die Feuerversicherung gekoppelt. Gebäudeschäden werden in 19 Kantonen durch die kantonalen Gebäudeversicherungen abgedeckt. In den übrigen Kantonen (Genf, Uri, Schwyz, Tessin, Appenzell Innerrhoden, Wallis und Obwalden) sind Privatversicherer dafür zuständig. Neun potentielle Ereignisse sind geschützt: Neben Erdrutsch, Felssturz, Hagel, Hochwasser, Lawinen und Schneedruck sind dies auch Steinschlag, Sturm und Überschwemmung.

In den meisten Kantonen decken Privatversicherer Hausrat und Fahrhabe (bewegliche Sachen, die weder den Gebäuden noch dem Vermögen oder den «übrigen Sachen» zuzuordnen sind) über die Hausratversicherung. Die Prämien der Privatversicherungen sind gesetzlich geregelt und für alle Versicherungsnehmer in der Schweiz, unabhängig von ihrer individuellen Gefährdung, gleich. Nicht als Gebäude gelten Fahrnisbauten, also Bauten, die nicht als Dauereinrichtung erstellt werden, wie Baubaracken, Festhütten oder Marktbuden.

Elementarschaden-Pool 

Durch den Elementarschaden-Pool erreicht die Schweiz einen flächendeckenden Versicherungsschutz gegen Elementargefahren. Er ermöglicht den Schadenausgleich zwischen den Privatversicherern, indem Versicherungen mit überdurchschnittlich vielen Schäden von weniger stark betroffenen Marktpartnern mit entschädigt werden. Dank dieser, im Rahmen der VAG-Totalrevision am 1. Januar 2006 in Kraft getretenen, doppelten Solidarität, bleiben die Prämien für Versicherte tragbar und Elementarschäden für die Privatassekuranz versicherbar.

Was gehört zu den Elementarschäden?

Versicherte Elementarschäden sind Schäden durch Hochwasser, Überschwemmung, Hagel, Lawinen, Schneedruck, Felssturz, Steinschlag und Erdrutsch. Ebenso versichert sind Schäden durch Stürme mit einer Windgeschwindigkeit von mindestens 75 km/h, welche in der Umgebung der versicherten Sachen Bäume umwirft oder Gebäude abdeckt). Der Versicherer ersetzt in der Zerstörung, Beschädigung oder im Abhandenkommen versicherter Sachen bestehende Elementarschäden.

Keine Elementarschäden sind

Nicht versichert sind Schäden verursacht durch Bodensenkungen, schlechten Baugrund, fehlerhafte bauliche Konstruktion, mangelnden Gebäudeunterhalt, unterlassene Abwehrmassnahmen, künstliche Erdbewegungen, Schneerutsch von Dächern sowie Grundwasser. Auch das Ansteigen und Überborden von Gewässern, welches sich erfahrungsgemäss in kürzeren oder längeren Zwischenräumen wiederholt. Durch die ES nicht gedeckt sind ebenfalls Schäden, ohne Rücksicht auf ihre Ursache, die durch Wasser aus Stauseen oder sonstigen künstlichen Wasseranlagen entstehen sowie Rückstau von Wasser aus Kanalisation.

Ebenso wenig zählen Betriebs- und Bewirtschaftungsschäden, mit denen erfahrungsgemäss gerechnet werden muss, beispielsweise Schäden bei Hoch- und Tiefbauten, Stollenbauten, oder der Gewinnung von Steinen, Kies, Sand und Lehm zu den Elementarschäden. Ferner Schäden durch Erschütterungen, welche ihre Ursache im Einsturz künstlich geschaffener Hohlräume haben. Erbeben, die durch tektonische Vorgänge in der Erdkruste ausgelöst werden und vulkanische Eruptionen. Auch direkte Folgeereignisse von nicht zusätzlich gedeckten Erdbeben oder Vulkanausbrüchen sind nicht gedeckt.

Weshalb die Ausnahme bei Erdbeben?

Obwohl Erdbeben auch in der Schweiz zu den Naturgefahren gehören, sind Erdbebenschäden nicht von der Gebäudeversicherung gedeckt. Eine Ausnahme bildet der Kanton Zürich mit einer limitierten Erdbebenversicherung. 18 kantonale Gebäudeversicherungen schlossen sich 1978 zum Schweizerischen Pool für Erdbebenversicherung zusammen. Mit zwei Milliarden Franken ausgestattet, funktioniert er wie ein Hilfswerk für die beteiligten Kantone. Versuche, auch für Erdbeben eine obligatorische Versicherung einzuführen, sind im Parlament wiederholt gescheitert, weshalb sich Erdbeben nur privat, zum Beispiel bei der Allianz SchweizBasler, den GVB Privatversicherungen, Mobiliar, RMS Risk Management Service oder Zurich, versichern lassen.

Zur Erinnerung: Noch ist das Jahr 2021 nicht um und es bleibt wenig Hoffnung, dass uns in seinen letzten Monaten keine grösseren Unwetter mehr erreichen werden. Schon heute geht die Branche davon aus, dass der Rekord 2007, also vor 14 Jahren, mit Schäden in der Höhe von 700 Millionen Franken leider eingeholt wird.

Binci Heeb


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