Mut und Veränderung: Wie Edith Karl Mitarbeitende motiviert?

16. Dezember 2022 | Aktuell Allgemein Interviews
Mut und Veränderung: Wie Edith Karl Mitarbeitende motiviert? Bild: ©Astrid M. Obert Photography www.astridobert.de
Mut und Veränderung: Wie Edith Karl Mitarbeitende motiviert? Bild: ©Astrid M. Obert Photography www.astridobert.de

Die erfahrene, österreichische Wirtschaftssoziologin und Wirtschaftspsychologin ist sehr gefragt, denn sie gibt Firmen wertvolle Strategien für mehr Erfolg an die Hand. Ihre wichtigste Erkenntnis ist: «Mut ist ein entscheidender Erfolgsfaktor. Es ist gut, wenn man ihn zur Verfügung hat, wenn man ihn braucht.» Dies gilt sowohl für Vorgesetzte als auch für Mitarbeitende.

Frau Karl, Sie sind Europas erste Mut-Expertin. Was bitte ist darunter zu verstehen?

Ganz einfach: Eine Mut-Expertin ist jemand, der anderen Menschen hilft, ihren Mut zu finden und zu stärken. Der Weg dorthin ist allerdings oft nicht so einfach. Denn Mut zu haben bedeutet nicht automatisch, mutig zu sein.

Zum Beispiel, wenn sie immer wieder erkennen, dass Veränderungen notwendig sind. Häufig werden die zuerst einmal aufgeschoben.

Je genauer ich mich selbst und andere beobachtete und das Denken und Handeln reflektierte, umso klarer erkannte ich, dass Aufschieben, statt beherzt zupacken einen Mangel an Mut bedeutet.

Da habe ich mutige und erfolgreiche Menschen gesucht, sie beobachtet und gefragt, wie sie es schaffen, schnell Entscheidungen zu treffen.

Die grosse Erkenntnis dabei war und ist: Mutige haben auch Angst, durchleuchten und überwinden diese aber schnell. Damit verlassen sie ihre Komfortzone, weil sie wissen, Erfolgschancen liegen häufig hinter der Komfortzone. Schnell habe ich erkannt: Erfolgreiche treffen auch falsche Entscheidungen. Da sie aber schnell viele Entscheidungen treffen ist ihre Quote an erfolgreichen Entscheidungen wesentlich höher als bei denen, die zögern und zaudern. 

In Österreich führt kein Weg an Ihnen vorbei, ob als Veränderungscoach oder Strategieberaterin. Wer nimmt Ihre Dienste in Anspruch?

Vor allem Unternehmer und Unternehmerinnen in kleinen und mittelständischen Betrieben. Dabei handelt es sich häufig um familiengeführte Unternehmen, die schnell Entscheidungen treffen können.

Was sind die meistgenannten Gründe dafür?

Firmenübernahmen, das Aufbauen neuer an die heutigen Anforderungen angepasste Strukturen für das Unternehmen. Auch Kundenreklamationen setzen Impulse für Veränderungen.

In diesen Zeiten des erhöhten Tempos, der steigenden Energiekosten, Inflation und Rohstoffknappheit schaut man noch genauer auf die Kosten als bisher. Mitarbeitende will man nach Möglichkeit halten, daher setzen Unternehmer alles daran, profitabler zu arbeiten. Betriebsblindheit erschwert dieses Vorhaben.

Es werden auch Mitarbeitermangel und Fluktuation beklagt. Chefs denken, es sei alles in Ordnung, doch plötzlich kündigen Mitarbeiter. Neue Kräfte sind schwer zu finden. Junge Bewerberinnen und Bewerber sagen unverblümt, sie haben bereits mehrere Angebote von Unternehmen und wollen diese noch vergleichen. So etwas kann ein Chef im reiferen Alter schwer nachvollziehen, musste er selbst sich doch in seinen Anfangsjahren anhören: Wenn sie nicht zu unseren Bedingungen arbeiten wollen, gibt es fünf andere Kandidaten.

Seit 35 Jahren arbeiten Sie in mehr als fünfzig Branchen. Welche Branche braucht Ihre Hilfe am dringendsten?

Die Einsatzgebiete ähneln einander in allen Branchen. Überall erwarten Kunden noch schnellere Reaktionen auf Anfragen und darüber hinaus kürzere Lieferzeiten. Es wird daher viel von Digitalisierung gesprochen. Dabei übersieht man in vielen Unternehmen, dass die zuvor so wichtigen Schritte Standardisieren und Systematisieren von Abläufen nicht aktualisiert wurden oder noch nicht vorhanden sind.

Das Thema remote arbeiten und führen hat viel Staub aufgewirbelt: Welche Führungskultur herrscht im Unternehmen? Wie werden Ergebnisse erzielt? Wie klar werden Vereinbarungen getroffen? Remote führen verlangt wesentlich mehr Klarheit und Konsequenz. Festgelegte Rituale erweisen sich als hilfreich dabei.

Welche Veränderungen haben Sie über die Jahre festgestellt?

Die grösste Veränderung ist das Tempo. Eine Krise fügt sich zur nächsten. Die Pandemie war noch nicht vorbei, erschwerten gerissene Lieferketten, Rohstoffmangel und rasant steigende Energiekosten die Planung. Die Inflation wächst kontinuierlich weiter, niemand weiss genau, wie viel an Wert das Geld in welchem Zeitraum verliert.

Der demografische Wandel gesellt sich dazu. Wie soll man Erfahrungen und gewachsenes Wissen so schnell ersetzen, fragen sich manche? Jetzt ist die Zeit der Unternehmer, die kontinuierlich an ihren aktuellen Themen gearbeitet haben. Sie sind in Übung und haben darüber hinaus einen grossen Vorsprung vor dem Mitbewerb. Wer sich jetzt ordentlich ins Zeug legt, kann noch aufholen.

Einfach nur hoffen, dass alles nicht so schlimm werden wird und es schon irgendwie weitergeht, sehe ich als eine brandgefährliche Alternative.

Inwiefern unterscheidet sich die Versicherungsbranche von anderen Branchen?

Die Versicherungsbranche ist vielleicht noch gläserner als andere Branchen. Darüber hinaus steht sie mehr und höherem Misstrauen der Kunden gegenüber. Der Mitbewerb durch andere Finanzinstitute schlägt auch zu Buche.

Welche Antworten geben Führungskräfte und Mitarbeitende den Interessent*innen und Kund*innen auf ihre Fragen nach Sicherheit?

Ungeschickt formulierte digitalisierte Antworten auf Kundenanfragen oder bei Produktveränderungen können schnell langjährige treue Kunden verärgern und vertreiben. Die teilen ihren Ärger vielen Freunden und Bekannten mit.  

Was unternehmen die Verantwortlichen, um das Vertrauen der Kund*innen wieder herzustellen

Im Geschäftskundenbereich gewinnen die Mitarbeitenden einen grossen Überblick über die wirtschaftliche, gesellschaftliche und politische Situation.

Welche Finanzprodukte bringen wem welche Vorteile?

Manche Versicherungs-Unternehmen nützen dieses Wissen für ihre Positionierung und nehmen beispielsweise nur Kunden an, die nachweislich auf bestimmte Kriterien achten, beispielsweise Fair Trade, Bio, Klimaschutz und ähnliches. Das dient dem Image des Versicherungsunternehmens.

Darüber hinaus nimmt die Versicherungsbranche bewusst Einfluss auf Wirtschaft und Gesellschaft.

Sie haben über 100 Vorstandsetagen, Direktionen und Geschäftsführer*innen überprüft und bewertet und dabei für die Firmen teilweise bis zu sechsstellige Beträge eingespart. Wie gehen Sie dabei vor?

Wir arbeiten seit 35 Jahren in den unterschiedlichsten Branchen. Dabei haben wir viel Erfahrung gewonnen zu den Themenbereichen Führung, Kommunikation, Verkauf und Prozessoptimierung. Darüber hinaus entwickelten wir den ErfolgsCheck Kundenauftrag®. Er stützt sich neben dem Organigramm auf die Übersicht über alle Prozesse und Systeme im jeweiligen Haus. Dazu gehören auch der Führungsprozess und weitere intern wirkende Routinen.

Im Lauf der Jahre haben wir dabei über 2000 Fragen an die Beteiligten entwickelt. 777 davon sind jetzt in der engeren Auswahl bei unserem Vorgehen. Wir wählen aus diesem Fundus die Fragen aus, die dem Kunden im jeweiligen Kontext Klarheit bringen. Dabei ergeben sich häufig Einsparungen, beispielsweise durch Erkennen von Mehrfachbearbeitung, längst überholter Arbeitsschritte, Kommunikation und stockender Informationsfluss, um nur einige Punkte zu nennen.

In der Kommunikation auf allen Ebenen findet sich eine Unzahl von leicht ersetzbaren Vorgehensweisen. In den Bereichen Führen und Vertrieb liegen Unmengen verborgener Potenziale. Die führen in Richtung mehr Profit und ein optimiertes Betriebsklima. 

Was sind die grössten Fehler, die Vorgesetzte machen?

Wenn die Mitarbeitenden in wesentliche Schritte bei Veränderungen nicht miteinbezogen werden, stehen sie auch nicht hinter den Massnahmen der Geschäftsleitung. Das ist schwer nachweisbar, wirkt aber hartnäckig.

Unklar vereinbarte Ziele treffen ins Leere.

Gespräche mit Mitarbeitenden wirken. In welche Richtung diese Wirkung zielt, haben Führungskräfte in ihrer Hand. Mitarbeitende erkennen die innere Einstellung der Führungskräfte schnell. Die Häufigkeit von Gesprächen mit Mitarbeitenden dient als ein wirksames Führungselement.

Fehler führen oft zu Diskussionen um Schuld. Die Mitarbeitenden verteidigen sich dann nur noch. Niemand will als schuldig, dumm oder inkompetent dastehen. Viel zielführender sind die Fragen: Wie können wir den Schaden beheben? Wie können wir verhindern, dass jemand diesen Fehler nochmals macht?

Die Fehlerkultur ist eine wichtige Grundlage für Innovation und Engagement. Beides sind wirkungsvolle Voraussetzungen für die heutige Zeit der Inflation und des demografischen Wandels.

Was unternehmen Sie, wenn in einer Firma das Betriebsklima im Keller ist?

Menschen wollen gesehen und wertgeschätzt werden. Feedback über die geleistete Arbeit geniesst einen hohen Stellenwert. Die Menschen wollen Anerkennung für das, was gut war oder Fehler korrigiert bekommen um daraus zu lernen. Dazu benötigen sie ehrliche Rückmeldungen ihrer Führungskräfte.

Wenn Herausforderungen wie beispielsweise Mobbing oder Streitigkeiten im Unternehmen auftreten, empfiehlt es sich, mit den Betroffenen offen darüber zu sprechen und eine Lösung dafür zu erarbeiten. Die muss dann eingehalten werden.

Wie motivieren Sie Mitarbeitende?

Menschen wollen gesehen und wertgeschätzt werden.

Gallup-Studien erkennen, dass sich oft nur zwischen 11 und 19 Prozent der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen identifizieren. Über 60 Prozent machen lediglich Dienst nach Vorschrift. Sie geben als Grund an, übersehen und als unwichtig betrachtet zu werden. Wer bereits zwei bis dreimal Ideen eingebracht hat und dafür abgewertet wurde, oder erleben musste, wie der Chef sich damit schmückt, verliert das bisherige Engagement. Die restlichen haben bereits innerlich gekündigt.

Mitarbeitende, die gesehen, für erfolgreiche Arbeit anerkannt werden und bei Misserfolgen klare Hilfestellung bekommen, fühlen sich ernst genommen. Wenn die Mitarbeitenden erkennen, welchen Beitrag sie im Unternehmen zum grossen Ganzen leisten, engagieren sie sich gerne, weil sie dann wissen, wozu sie beitragen. Dieses Engagement ist bares Geld wert. Dazu gibt es probate Methoden, die einfach einzusetzen sind.

Haben Sie es nur mit einsichtigen Chefs zu tun oder müssen Sie manchmal auch grössere Überzeugungsarbeit leisten?

Die Chefs rufen uns aus den Gründen, die sie bisher erkannt haben. In diesem Bereich sind sie einsichtig. Hier können wir arbeiten.

Mitunter poppen dabei Themen auf, die der Chef noch nicht erkannt hat. Das ist auch normal, weil Mitarbeitende lieber Erfolgsmeldungen in Richtung Chef loslassen. Sie wollen sich nicht selbst in Gefahr bringen, sondern möglichst kompetent dastehen.

Zusätzlich erkannte «Baustellen» stellen wir als die Chancen vor, die sie tatsächlich sind. Nach einer ersten Phase der Verwunderung ergreifen Chefs diese Gelegenheit. Darüber hinaus vertiefen TOP-Führungskräfte in einem solchen Prozess ihre Wahrnehmungskanäle.

Wie gehen Sie vor und worauf achten Sie, wenn Sie zum ersten Mal ein Unternehmen betreten?

Den ersten Eindruck vermittelt mir die Stimmung im Foyer. Das Styling und die vorherrschende Stimmung spiegeln meistens das Leben in der Organisation wider. Wie hektisch, streng, leise, freundlich wird man hier empfangen?

Wie telefonieren die Rezeptionisten, welche Körpersprache herrscht hier vor? Wie verhalten sich die Mitarbeiter zueinander? Gibt es Wartezeiten, um zum Gesprächspartner zu kommen? Wie wirkt dieser bei der ersten Begegnung? Diese Begegnungen geben wichtige Hinweise auf das Klima und den Führungsstil, die hier herrschen.

Natürlich vergleiche ich diese Eindrücke mit der Webseite und anderen öffentliche Meldungen. 

Wo drückt dort der Schuh am meisten?

In den letzten Jahren nahm die Verunsicherung in allen Branchen und Hierarchiestufen zu. Vielerorts wachsen Angst und emotionaler Stress. Dazu äussern sich nur wenige, stattdessen demonstriert man Stärke. Der Stresspegel steigt, unreflektiertes Handeln nimmt zu. 

Jetzt braucht es Chefs, die mentale Fitness fördern. Workouts, Atemübungen, Meditationen, Yoga stärken Körper und Geist.

Professionelles Umgehen mit Emotionen zu lernen, befreit von Druck und erhöht die Resilienz. Die dafür aufgewendete Zeit wird mehrfach wieder eingespielt. Der Geist öffnet sich für authentische und professionelle Begegnung, Gespräche und gemeinsames Gestalten.

Weihnachtsfeiern sind so eine Sache. Wird zu viel getrunken, löst sich die Zunge und die Schamgrenze sinkt. Was raten Sie Vorgesetzten und Angestellten für die bevorstehende Feier?

Es ist schön, an einer Weihnachtsfeier teilzunehmen und das Jahr mit Kollegen und Freunden ausklingen zu lassen. Ein gutes Verhältnis zu seinen Arbeitskollegen ist wichtig, aber man sollte immer bedenken, dass es sich bei der Feier um eine professionelle Angelegenheit handelt.

Darum gilt es, sich an einige Regeln zu halten. Der Dresscode und die Lokalität geben die Leitlinien. Grundsätzlich gilt: Behalten Sie Ihre Professionalität bei und zeigen Sie Respekt vor den anderen Teilnehmern.

Bereiten Sie unverfängliche Themen vor, interessieren sie sich für die anderen, stellen Sie Fragen. So lernt man einander in aufgelockerter Atmosphäre noch besser kennen. Hier den nächsten Karriereschritt anzubahnen, führt häufig nicht zum Ziel.

Weihnachtsfeiern sollten Zeit sein, um miteinander Spass zu haben und neue Erinnerungen mit nach Hause zu nehmen. Geniessen Sie den Abend Lachen Sie gemeinsam und geniessen die Zeit mit ihren Kolleginnen und Kollegen!

Alkohol kann helfen, die Atmosphäre lockerer zu machen, aber es ist wichtig, nicht übertrieben zu trinken. So bleiben Sie in Kontrolle und vermeiden unangenehme Situationen.

Die Fragen wurden von Binci Heeb gestellt.

Edith Karl: Kennt nach dreieinhalb Jahrzehnten Erfahrung als Trainerin, Veränderungscoach für Unternehmer und Geschäftsführer aus 52 Branchen deren Bedarf. Als Europas 1. Mutexpertin weiss sie mit Veränderungen umzugehen. Sie leitet Transformationsprozesse und die Zusammenarbeit zwischen mehreren Generationen. Mit ihren Coaching- und Mentoring-Programmen unterstützt sie Unternehmer und Top-Führungskräfte dabei, das Ungewisse, das jetzt viele immer stärker belastet anzunehmen und daraus Kraft zu schöpfen als Mensch und Gestalter des Unternehmens.

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