Eklat bei ASSEPRO?

16. Oktober 2021 | Aktuell Interviews
Jon Samuel Plotke, neuer CEO bei ASSEPRO Gruppe. ©ASSEPRO

Mit einem Prämienvolumen von einer Milliarde Schweizer Franken, sechzehn Tochtergesellschaften und 240 Mitarbeitenden ist ASSEPRO einer der grossen Player der Brokerbranche. thebroker unterhielt sich exklusiv mit Jon Samuel Plotke, dem neuen Vorsitzenden der Gruppengeschäftsleitung über «Erschütterungen» bei ASSEPRO und über die Konsequenzen der Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes VVG.

Herr Plotke, herzliche Gratulation zur Beförderung. Als CEO haben Sie Dieter Bartl abgelöst. Ursprünglich hatten wir ein Interview über die Konsequenzen der Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetztes VVG geplant. Da diese Woche über einen «Eklat» bei ASSEPRO zu lesen war, lassen Sie uns doch zunächst bitte darüber sprechen.

Inside Paradeplatz titelte diese Woche «Erschütterung bei Big Versicherungs-Broker ASSEPRO» und meint damit, dass gleich der CEO, mit Finanzchef und Marktleiter ASSEPRO verlassen haben. Was ist passiert?

Mit Abschluss der Transaktion, bei der die Private-Equity-Gesellschaft EMZ Partners bei ASSEPRO eingestiegen ist, ging der bisherige Finanzchef, Markus Portmann, anfangs Juli in seinen wohlverdienten Ruhestand. Ende August 2021 haben sich der Verwaltungsrat der ASSEPRO und der bisherige CEO, Dieter Bartl, im gegenseitigen Einvernehmen entschieden, getrennte Wege zu gehen. Zudem schied der bisherige Leiter Markt aus dem Unternehmen aus.

Diese drei Einzelereignisse, weisen zwar zufälligerweise eine gewisse zeitliche Nähe auf, haben jedoch nichts miteinander zu tun, sind doch die Gründe für das Ausscheiden der drei Personen höchst unterschiedlich. Aus meiner Sicht wollte Inside Paradeplatz diese terminlich bei einander liegenden Veränderungen kombinieren, um daraus eine Story zu machen und hat daraus ein «Erdbeben», welches es schlicht nicht gegeben hat, herbeigeschrieben.

Demnach kam es zu keinen Unstimmigkeiten bei den Abgängen?

Wie bei den meisten Abgängen üblich, sind auch hier nicht alle Beteiligten gleichermassen glücklich darüber. Intern warfen diese jedoch keine grossen Wellen, haben doch in allen Fällen gute Nachfolger das jeweilige Amt übernommen.

Die Rede ist aber gar von einem «Eklat». Das können Sie also nicht bestätigen?

Wenn man «Eklat» mit Sensation oder Skandal, welche für Aufsehen sorgen, beschreibt, dann sicher nicht. Im Gegenteil, die personellen Veränderungen und meine Ernennung als neuer CEO – ich arbeite bereits 13 Jahre in diesem Unternehmen – wurden insbesondere intern sehr gut aufgenommen. Ich habe dementsprechend auch sehr viele äusserst positive Rückmeldungen erhalten.

Es heisst, dass Sie nun ohne ihre bisherigen zentralen Führungskräfte dastünden. 

Bezeichnend für diese Aussage ist, dass es im Bericht von Inside Paradeplatz ein Bild gab, welches vier Personen abbildete. Hätte der Autor des Artikels sauber recherchiert oder die Scrollingfunktion unserer Homepage verstanden, hätte er bemerkt, dass da fünf Führungsmitglieder aufgeführt sind und die Gruppengeschäftsleitung im Übrigen aktuell auch aus fünf Personen besteht. Dieter Bartl war seit 3.5 Jahren und der Leiter Markt seit erst 1.5 Jahre bei ASSEPRO. Roland Fröbel, Leiter der IT, Mitglied der Gruppengeschäftsleitung, arbeitet bereits seit über 14 Jahren, Martin Trümpi, ebenfalls Mitglied der Gruppengeschäftsleitung und ich arbeiten bereits je seit 13 Jahren in führenden Positionen bei Gesellschaften der ASSEPRO Gruppe. Da fällt es mir schwer, nachvollziehen zu können, wenn von einem grossen Abgang zentraler Figuren berichtet wird. Die wahren Know-how Träger bleiben der Gruppe eindeutig erhalten.

Anfang des Jahres wurde die Mehrheit an ASSEPRO von der Private-Equity-Gesellschaft namens EMZ Partners übernommen. Was waren damals die Gründe?

Bereits vor dem Einstieg von EMZ Partners gehörte ASSEPRO mehrheitlich einer Beteiligungsgesellschaft. Diese konnte bzw. wollte unsere Wachstumsstrategie nicht länger unterstützen, weshalb das Management die Fühler nach einem neuen strategischen Partner ausgestreckt hatte. Dieser konnte mit EMZ Partners ideal gefunden werden. Die ersten Monate der neuen Zusammenarbeit zeigen sich bereits sehr positiv und ich bin überzeugt, dass diese Partnerschaft ermöglichen wird, auf dem Weg zur Erreichung unserer Strategie, weiter voran zu schreiten.

Für ASSEPRO eröffnen sich damit nun neuen Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Wir glauben sehr fest an die Digitalisierung und wollen in diese weiter investieren. Mit unserer heutigen Informatiklösung befinden wir uns dafür in einer guten Ausgangslage. Auf der anderen Seite sieht man, dass eine gewisse Unternehmensgrösse nötig wird. Im Moment findet im Brokermarkt eine Marktbereinigung statt, an welcher wir auch weiter teilnehmen möchten. Wir wollen weiter wachsen, organisch und auch anorganisch, durch weitere Zukäufe.

Wenn man sich die ASSEPRO-Landkarte ansieht, findet man noch weisse Flecken, die wir gerne schliessen würden. Zudem möchten wir unsere Fühler ebenfalls in den DACH-Raum ausstrecken.

ASSEPRO-Landkarte ©ASSEPRO

Wie sieht die Situation in der Produkteentwicklung aus?

Hier möchte ich etwas ausholen. Wenn man den Versicherungs- und Anbietermarkt betrachtet, sieht man, dass sich dieser in den letzten Jahren immer mehr konzentriert hat. Es gab Fusionen, einige Versicherer zogen sich aus dem Markt zurück, insbesondere in den Personenversicherungen. Für die Broker ist jeder Verlust eines Versicherers auch ein Verlust eines möglichen Kundenangebots. Zudem hat sich der Markt in verschiedenen Versicherungsbranchen verhärtet. Gerade auch was die Deckungen betrifft. Wenn wir für unsere Kunden auch zukünftig gute Lösungen anbieten wollen, sind wir darauf angewiesen, dass die Versicherer auch Lösungen bringen. Alternativ müssen wir diese halt selbst (mit)entwickeln. 

Dann will ASSEPRO eigene Produkte entwickeln?

Natürlich. Dies tun wir im Übrigen bereits heute und wollen es zukünftig noch vermehrt machen. Damit wollen wir uns zudem auch von unseren Marktbegleitern abheben.

Sie wollen also eigene Produkte für eigene Zielgruppen? 

Ja – wir sind nicht der Meinung, dass ein (Standard)-Produkt für alle Kunden ein gutes Produkt ist. Entweder fehlen die richtigen Deckungen oder das Deckungsportfolio ist so umfangreich, dass man mit der Prämie nicht dort steht, wo man sein möchte. Für spezifische Kundensegmente soll es auch für sie zugeschnittene Produkte geben.

Bei ASSEPRO spielt die Digitalisierung offenbar schon eine grosse Rolle. Wird sie in Zukunft eine noch wichtigere Bedeutung erhalten?

Davon gehen wir aus, weshalb sie auch zu einer unserer Kernstrategien gehört. Die Versicherungswirtschaft befindet sich in Sachen Digitalisierung nicht unbedingt an vorderster Front. Wir fühlen uns in diesem Feld oft als Treiber. Tatsache ist, dass unsere Kund*innen klare Bedürfnisse haben und schnell online agieren möchten.

Die ASSEPRO ist an mittlerweile 16 Standorten in der ganzen Schweiz zu finden. Wohin soll die Reise noch gehen?

Regionen, in welchen wir noch nicht präsent sind, möchten wir noch weiter ausbauen. Zudem wollen wir in die DACH Region vordringen. Als im KMU-Segment tätiges Unternehmen sind wir überzeugt, dass es auch in Zukunft wichtig sein wird, neben der digitalen Präsenz auch eine persönliche Beratung vor Ort anzubieten. Deshalb haben wir auch nicht vor, unsere Standorte zu zentralisieren. 

Im zweiten Teil unseres Gesprächs sprechen wir nun aber über die Konsequenzen der Teilrevision des Versicherungsvertragsgesetzes VVG: Stellt der obligatorische Einbezug aller Arbeitnehmer in die Betriebshaftpflichtversicherung und der damit verbundene Regressausschluss aus ihrer Sicht eine Verbesserung oder eine Verschlechterung dar?

In den letzten Jahren haben die Broker immer wieder versucht, diese Deckungslücke für Arbeitnehmer zu schliessen, während sich die Versicherungsgesellschaften mehrheitlich konsequent dagegen gewehrt haben. 

Durch die obligatorische Ausdehnung des Deckungsumfangs der Betriebshaftpflichtversicherung und insbesondere des Regressausschlussverbots wird natürlich in die Vertragsfreiheit der Parteien eingegriffen. Das führt sicherlich zu mehr Fällen mit welcher die Haftpflichtversicherung belastet wird, was allenfalls Auswirkungen auf die Prämien haben wird.

Umgekehrt mussten wir in der Praxis vermehrt feststellen, dass Schadenfälle auftraten, in welchen Arbeitnehmer sich mit solchen Regresssituationen auseinandersetzen mussten und weder in der Betriebshaftpflichtversicherung ihres Arbeitgebers, noch ihrer Privathaftpflichtversicherung einen Versicherungsschutz hatten. In der Vergangenheit verliess sich die Versicherungswirtschaft darauf, dass Unfall- oder Gebäudeversicherungen keinen Regress nehmen. In den letzten Jahren musste man feststellen, dass das sogenannte «Gentlemen’s Agreement» massiv zurückging. Wir waren immer wieder mit Fällen mit Unfallversicherern oder der Gebäudeversicherung konfrontiert, welche Regress nahmen, was oft zu unschönen Versicherungslücken führte. 

Persönlich denke ich, dass diese Deckungserweiterung richtig ist. Wenn der Haftpflichtversicherer in Zukunft aufgrund von Regressen mehr Leistungen erbringen muss, soll dafür die dadurch entlastete Unfall- oder Gebäudeversicherung ihre Prämien reduzieren.

Was ändert sich mit dem direkten Forderungsrecht?

Der Geschädigte oder die Geschädigten werden künftig ihre Ansprüche direkt bei der Versicherungsgesellschaft geltend machen können. Für uns als Broker und für Kunden gibt es eine Erschwernis, weil damit gerechnet werden muss, dass man in Zukunft nicht immer als erster von einer Forderung Kenntnis erhält, sondern Broker und Kunden vermehrt über Schadenmeldungen seitens der Versicherungsgesellschaften Kenntnis erhalten und damit erst in einem späteren Einfluss auf die Regulierung des Anspruchs nehmen können. Ich bin aber gespannt, wie viele Fälle in Zukunft wirklich bei den Versicherungsgesellschaften direkt angemeldet werden.

Gemäss neuem VVG ist der Versicherte verpflichtet im obligatorischen Bereich dem Geschädigten seine Police auszuhändigen. Nicht so bei der Nichtobligatorischen-Haftpflichtversicherung, wo nur eine Informationspflicht über die Existenz der Police besteht. (Der Versicherte ist vielleicht nicht interessiert, den Geschädigten im Detail über seine Deckung zu informieren.)  Stellt sich nicht die Frage, ob es nicht konsequenter wäre, wenn ein Broker zwei Policen hätte? Eine für den obligatorischen Bereich und eine weitere im zweiten Layer für den überobligatorischen Bereich.

Als Rechtsanwalt bin ich kein grosser Fan von Gesetzesumgehungen. Die Pflicht zur Information über die Eckpunkte der Police wurde intern sehr intensiv diskutiert und ich bin mir nicht so klar darüber, woher die Angst, welche damit verbunden ist, eigentlich rührt. Ich denke, dass zu viel Respekt davor besteht, wenn der Kunde plötzlich den Deckungsumfang der Haftpflichtversicherung des Vertragspartners kennt. Man muss sich bewusst sein, dass es bereits heute oft der Fall istdass man als Kunde etwa bei einer öffentlichen Submission, zum Beispiel für ein Bauprojekt, eine Bestätigung der Versicherung mit Angaben zum groben Deckungsumfang abgeben muss. 

Was professionelle Versicherungsnehmer sind, wurde im neuen VVG klar definiert. Was aber bedeutet professionelles Risikomanagement?

Eine gute Frage, welche sich erst mit der Anwendung dieser Norm durch die Gerichte zeigen wird. Ob die Beauftragung eines Brokers zu einem professionellen Risikomanagement führt, kommt aus meiner Sicht auf die effektive Tätigkeit der Versicherungsbroker an. Viele gute Versicherungsbroker*innen bieten nebst der Versicherungsberatung ein Risikomanagement an, welches ich als professionell bewerten würde. Höchstwahrscheinlich gibt es aber auch viele Broker, die solche weitergehenden Dienstleistungen aus Wissens- oder Kapazitätsgründen gar nicht anbieten können oder wollen.

Im Wissen darum, dass mein Berufsstand dies anders sehen könnte, denke ich jedoch, dass der Abschluss eines Brokermandats für sich allein nicht ausreichen wird, um von einem professionellen Risikomanagement zu sprechen. Davon wird man erst dann sprechen können, wenn man nebst den versicherbaren Risiken auch weitere Risiken betrachtet.

Persönlich glaube ich aber, dass die Frage gar nicht so heiss gegessen wird, wie diese Suppe gekocht wird. Im KMU-Bereich geht die Tendenz der Versicherungsgesellschaften nämlich immer mehr in Richtung Standardisierung. Diese werden daher nicht leichtfertig im Massengeschäft auf die Beachtung der zwingenden oder teilzwingenden Normen verzichten wollen.

Die AXA und ihre Gutachter sind der Meinung, dass ein klassisches Brokermandat allein nicht ausreicht, da dieses nur Teile des Risikomanagements umfasst. Was denken Sie?

Ich sehe es etwas differenzierter. Was ist schon ein «klassisches Brokermandat»? Einem «klassischen Brokermandat» kann man oft nicht entnehmen, welche Dienstleistungen der Versicherungsbroker für seinen Kunden wirklich erbringt. Entweder, weil diese in einem Dokument geregelt sind, welches dem Versicherer nicht zugestellt wird oder weil sie diese Dienstleistung im Rahmen eines separaten Auftrages abwickeln.

Zum Schluss noch ein Blick in die Glaskugel: Wo sehen Sie die ASSEPRO in 5 bis 10 Jahren?

Ich bin sicher, dass ASSEPRO weiterhin als einer der führenden Versicherungsbroker in der Schweiz und, wie bereits erwähnt, auch im DACH-Raum, tätig sein wird. Zudem werden wir noch vermehrt digital unterwegs sein, werden unsere Kund*innen aber auch weiterhin persönlich ansprechen. Ich bin überzeugt, dass wir weiterwachsen und zukünftig noch bessere Dienstleistungen zu Gunsten unserer Kunden erbringen werden.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Das Gespräch geführt hat Binci Heeb.

Jon Samuel Plotke hat Rechtswissenschaften an der Universität Bern studiert und das Patent als Rechtsanwalt erworben. Seit 13 Jahren ist er in verschiedenen Funktionen für die ASSEPRO Gruppe bzw. für deren Gruppenunternehmen tätig. Nachdem er während mehreren Jahren den Standort Chur der ASSEPRO Gruppe geleitet hat, ist er seit drei Jahren Mitglied der Gruppengeschäftsleitung. Seit einem Monat ist Jon Samuel Plotke neuer CEO der ASSEPRO Gruppe. Jon Samuel Plotke ist verheiratet und hat zwei schulpflichtige Kinder.




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